Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
einer Minute war die Gasse voller uniformierter Beamter und Rettungssanitäter in Grün, die Tom unverzüglich untersuchten, bevor sie ihn auf einer Tragbahre hinten in einen Krankenwagen schoben, der es irgendwie geschafft hatte, rückwärts durch die schmale Gasse zu fahren, ohne gegen einen der Polizeiwagen zu stoßen, die vor ihm gekommen waren. Italiener schienen immer zu wissen, wo Platz war, sinnierte Tom, als der Krankenwagen mit lauter Sirene losfuhr, deren Ton stark an einen Comicstreifen erinnerte. Vielleicht waren sie deshalb so gut in Kunst.
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Als er am nächsten Morgen auf der Terrasse seiner Villa saß, mit Genuss eine Tasse Earl Grey schlürfte und eine Scheibe Brot mit Aprikosenmarmelade aß, sich von der Sonne bescheinen ließ und die fantastische Aussicht bewunderte, musste Nicola Mantega einfach feststellen, dass er ziemlich clever gewesen war, auch wenn er es nur zu sich selber sagte. Einen Moment lang kam ihm der Gedanke, dass er vielleicht ein bisschen zu clever gewesen sein könnte, doch selbst nachdem er seine Pläne zum soundsovielten Mal überdacht hatte, hatte er immer noch keinen gravierenden Fehler finden können.
Der Deal, den er mit Martin Nguyen in einem Mischmasch aus seinem eigenen beschränkten Englisch und Nguyens primitivem, aber verständlichem Italienisch ausgehandelt hatte, war eine wunderbare Sache. Der Amerikaner hatte offenbar eine Nachbildung der Menora in voller Größe von einem Kunsthandwerker in Israel gekauft und per Luftpost nach Kalabrien schicken lassen. Das Ding war aus Hohlstahl gemacht und mit einer Goldschicht überzogen und sollte in Form und Größe dem Original ziemlich nahe kommen, doch das Schöne daran war, dass niemand genau wusste, wie das Original ausgesehen hatte. Nguyen wollte es seinem Arbeitgeber als das echte Stück andrehen, das angeblich die Grabräuber erbeutet hatten, die als Erste Alarichs letzte Ruhestätte entdeckt hatten. Damit der Plan gelingen würde, musste Mantega noch ein paar kosmetische Arbeiten an der zu perfekten Nachbildung vornehmen lassen und sie dann dem Käufer möglichst überzeugend präsentieren. Ach ja, und noch etwas. Für seine Bemühungen würde er Mantega eine Viertelmillion Euro in bar zahlen.
Doch das Allerschönste an dieser neuen Regelung war, dass Giorgio damit weg vom Fenster war. Zwar würde Mantega ihn zu einem Treffen locken müssen, wo die Polizei auf der Lauer lag, um ihn zu verhaften, doch das könnte später als separate Operation passieren. Oder auch nicht. In der Stadt munkelte man, dass Gaetano Monaco wieder gesund wäre und in Kürze zurückkehren würde, um den Posten des Polizeichefs von diesem Eindringling aus dem Norden zu übernehmen, der ihn während seiner Genesung von der schweren Fußverletzung vertreten hatte, die er sich bei einem heroischen persönlichen Eingreifen in einem der Fälle zugezogen hatte, mit denen er befasst war. Nicola Mantega selbst hatte nie mit Monaco zu tun gehabt, als dieser Polizeichef der Nachbarprovinz Catanzaro war, doch nach dem zu urteilen, was er von diversen Leuten gehört hatte, die ihn kannten, war Monaco wahrscheinlich sehr viel zugänglicher für irgendwelche Vorschläge als dieser Aurelio Zen. Nicht dass er offenkundig korrupt gewesen wäre, doch er verstand die endlosen Nuancen, die notwendig waren, um alle Arten von Geschäften in Kalabrien abwickeln zu können, und war bereit, innerhalb dieser Spielregeln zu agieren.
Mantega sah auf seine Uhr. Kein Problem, es war noch fast eine Stunde Zeit, bis die Farce losging. Er war ein wenig überrascht, dass er noch nichts von Rocco Battista gehört hatte, diesem Proleten aus Cosenza, den er für »die andere Sache« engagiert hatte, die Signor Nguyen erledigt haben wollte. Mantega hatte eigentlich dabei nicht mitmachen wollen, doch Nguyen war sehr beharrlich und überzeugend gewesen. »Er braucht nur zu meinem Boss zu gehen und zu sagen: ›Ich glaube, da gibt es etwas, das Sie wissen sollten‹, und schon könnten wir beide im Gefängnis landen.« Zumindest hatte Mantega ihm ausreden können, den jungen Mann umbringen zu lassen, indem er darauf hinwies, dass der gewaltsame Tod von zwei Generationen aus der Familie Newman ganz sicher einen Riesenwirbel in den Medien und einen massiven Polizeieinsatz auslösen würde, was beides nicht in ihrem gemeinsamen Interesse läge. Mantegas wahre Gründe waren moralischer Natur gewesen. Jemanden zu töten, der einen verraten hatte, war ehrenwert; jemanden zu töten,
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