Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
dranzukriegen, die das getan haben! Ich habe die Schnauze voll von dieser romantischen Verklärung des Südens und davon, wie sich die Leute selbst zu Opfern stilisieren, die seit Ewigkeiten von Tyrannen mit Füßen getreten werden. Außerdem kann ich dieses Geschwätz nicht mehr hören, dass man gegen das Verbrechen hier unten machtlos sei, weil es von einer unergründlichen kollektiven Tradition aus Blut, Ehre und Tragödie genährt wird, die wir Leute aus dem Norden auch nicht annähernd verstehen können. Zum Teufel damit! Es wird Zeit, dass die alle endlich aufwachen und anfangen, die Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen, und ich möchte persönlich dabei den Wecker spielen.«
Sforza nickte. »Eine noble Rede, wie sie schon viele von uns gehalten haben, zumindest in Gedanken.«
Zen winkte entschuldigend ab und senkte die Stimme. »Tut mir leid, Giovanni, aber es war wirklich entsetzlich. Es sah stark nach einem Ritualmord aus, fast so was wie ein heidnisches Opfer, und das ist mir irgendwie unter die Haut gegangen. Ich habe keine Ahnung, was letztlich bei den Ermittlungen herauskommt, aber ich weiß, dass sich die Situation ständig verändern wird und dass der Faktor Zeit von entscheidender Bedeutung ist. Ich muss vielleicht außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen und außergewöhnliche Anforderungen an die vorhandenen Ressourcen stellen. Deshalb bitte ich dich, mir kraft deines Namens und deines Ranges im Namen des Questore im Voraus und unbesehen dafür die Erlaubnis zu erteilen.«
Giovanni Sforza betrachtete ihn schweigend. »Mir ist klar, dass das eine wahnwitzige Bitte ist«, fügte Zen hinzu.
»Ein bisschen Wahnwitz kann nicht schaden«, sagte Sforza, »solange er im Dienste der Vernunft eingesetzt wird. Mach, was du willst. Aber ich warne dich …« Er hielt inne.
»Wovor?«, fragte Zen.
Sforza schüttelte den Kopf. »Vergiss es. Das waren eben große Worte über die Wahrnehmung des Südens in der Öffentlichkeit und den Bedarf an aufklärerischen Werten, doch darf ich mir die Bemerkung erlauben, dass sich das alles ziemlich unausgegoren angehört hat? Denn was machen wir eigentlich mit diesen Werten? Nimm zum Beispiel das Internet. Da haben wir das machtvollste intellektuelle Instrument in der Geschichte der Menschheit, und wir benutzen es, um narzisstische Online-Tagebücher zu schreiben und zu allem unsere Meinung zu sagen wie ein Schwarm zankender Stare. Aufklärerische Werte? Wir spielen in der Bibliothek von Alexandria Verstecken.«
Zens Bestürzung musste ihm am Gesicht abzulesen sein. Sforza lachte.
»Betrachte es als Kompliment, Aurelio! Dieser Fall scheint dich verjüngt zu haben. Es ist halt nur so, dass ich die Probleme der Polizeiarbeit hier im Süden etwas anders einschätze. Es ist, wie wenn man sich mit einer Frau streitet. Man trägt seine kleinen Siege davon, und das zu einem hohen Preis, und hinterher geht alles ziemlich genauso weiter wie zuvor.« Er machte eine wegwerfende Geste. »Hör nicht auf mich. Ich bin bloß ein alter Zyniker.«
»Du bist ein Jahr jünger als ich, Giovanni«, sagte Zen bissig.
»Die Zeit im Süden kann man nicht mit der Uhr messen«, lautete die ironisch salbungsvolle Antwort.
In seinem Büro rief Zen Natale Arnone zu sich und informierte ihn über die Situation.
»Folgende Dinge sind zu erledigen. Die Leiche ist auf dem Weg ins Krankenhaus, wo eine Autopsie und weitere forensische Tests durchgeführt werden sollen. Ich möchte, dass die Fingerabdrücke des Toten umgehend mit denen des Amerikaners verglichen werden, die uns das Konsulat geschickt hat, und anschließend soll ein DNA-Profil erstellt werden. Ich häng mich ans Telefon und erteile die entsprechenden Anweisungen, Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Leute, die mir das Blaue vom Himmel herunter versprochen haben, mich nicht mit einer Handvoll Dreck abspeisen. Verstanden?«
»Natürlich, Sir.« Arnone stand auf.
»Ich bin noch nicht fertig«, erklärte Zen. »Ich möchte außerdem, dass Sie Thomas Newman holen. Er wohnt im Hotel Centrale. Falls er nicht dort ist, stellen Sie einen Mann in die Eingangshalle, bis er zurückkommt. Schließlich sind alle noch lebenden Verwandten von Ottavia Calopezzati ausfindig zu machen sowie der Mann, der in dieser Geburtsurkunde als Pietros Vater genannt wird. Azzo irgendwas.«
Arnone schien diese letzte Bitte zu befremden, doch er hielt den Mund.
»Ist das alles?«, fragte er.
»Bei weitem nicht, doch es sollte reichen, um Sie
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