Sterben auf Italienisch - Ein Aurelio-Zen-Roman
Gebäudes suchen. Warum sollte jemand dort bauen wollen? Hier am Ufer, das mag ja noch angehen, aber mitten in einem Fluss? Das ist verrückt!«
Martin blickte zu Tom hinüber, doch der schien nicht zuzuhören.
»Es handelt sich um ein Grab«, erklärte er Phil. »Die Leute, die es gebaut haben, hatten die religiöse Vorstellung, dass der Tote auf ewig ungestört ruhen sollte, deshalb war ein Grab unter einem Fluss perfekt. Niemand außer ihnen wusste, wo es war, deshalb würde es niemals ausgegraben werden außer durch puren Zufall. Wieso interessiert Sie das eigentlich? Sie haben doch Ihre Anweisungen erhalten.«
»Nun ja, wie ich bereits sagte, wir haben keine Karten für diese …«
»Sie haben außerdem gesagt, dass Sie per Sichtflug fliegen. Weiter oben sind diese Flüsse eng von den Bergen begrenzt, also kann sich ihr Lauf nicht sehr geändert haben. Fangen Sie dort an, wo die Flüsse aufeinanderstoßen, und folgen Sie jedem einzelnen bis auf eine Höhe von fünfhundert Metern. Versteht der Pilot Englisch?«
»Ich denke nicht. Ich zeige immer nur auf die Zonen, die ich an dem Tag abarbeiten will.«
»Dann erteilen Sie ihm jetzt seine neuen Anweisungen. Mein Assistent übersetzt.«
Draußen auf dem betonierten Hof checkte der Pilot seine Maschine mit der Gründlichkeit eines Menschen, der weiß, dass sein Leben davon abhängt. Phil Larson informierte ihn über den neuen Plan für die Suche und machte dabei immer mal wieder eine Pause, damit Tom das Ganze ins Italienische übersetzen konnte. Er fügte hinzu, dass der Boss zu Besuch sei, deshalb sollten sie, um einen guten Eindruck zu machen, beschäftigt aussehen und so bald wie möglich anfangen. Dann kehrte er ins Büro zurück, wo Martin Nguyen wartete.
Tom blieb, wo er war. Flugzeuge hatten ihn schon als Kind fasziniert, seit ein Freund seines Vaters ihn mal auf einem Flug mit einer Cessna über das Marin County mitgenommen und einige wilde Sachen gemacht hatte, die ihm eine Heidenangst eingejagt und gleichzeitig einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen hatten. Er hoffte fast, dass dieser Pilot ihm eine ähnliche Vorführung anbieten würde, doch der Italiener schien mit anderen Dingen beschäftigt zu sein.
»Ich hab noch nicht mal eine Karte von diesen Tälern«, beklagte er sich bei Tom. »Nicht dass das viel nützen würde. Die spannen immer wieder neue Stromleitungen da drüber, die nicht eingezeichnet sind. Und dann stehen da noch diese alten, handbetriebenen Seilbahnen rum, mit denen man früher Waren unten von der Straße auf die entlegene Talseite gebracht hat. Die sind stillgelegt, deshalb sind sie nicht auf der Karte, aber die Hälfte von denen gibt es noch, und die Seile hängen ziemlich genau auf die Höhe herunter, auf der wir fliegen.«
Tom nickte verständnisvoll.
»Im Übrigen ist die ganze Sache ohnehin sinnlos«, fuhr der Pilot fort. »Wenn diese Amis die richtige Gegend für ihren Film finden wollen, könnten sie das viel billiger vom Boden aus machen.«
Tom bemerkte, dass der Groll des Italieners und seine Verachtung für das Projekt noch durch die Vorstellung verstärkt wurden, dass seine Arbeitgeber ihr Geld so töricht zum Fenster hinauswarfen.
»Offenbar suchen die nach irgendwas, das im Fluss begraben ist«, sagte Tom, instinktiv bemüht, seine Landsleute zu verteidigen. »Ich nehme an, sie brauchen das für den Film.«
»Im Fluss? Was soll das denn sein?«
Tom zuckte mit den Schultern. »Irgendein Grab.« Der Pilot starrte ihn so lange unentwegt an, dass Tom schon befürchtete, er hätte ihn irgendwie beleidigt. Dann lächelte der Mann.
»Ma certo« , erwiderte er in leicht verächtlichem Tonfall. »La famosa tomba d’Alarico . «
23
Es war wieder so ein perfekter Morgen in Cosenza. Das Sonnenlicht drang durch das Fenster, raubte den Dingen ihr allgemein akzeptiertes Erscheinungsbild und brachte den schäbigen Kern zum Vorschein. Aurelio Zen saß an seinem Schreibtisch, den Kopf in die Hände gestützt, und spürte die aufdringliche Gegenwart der Sonne an dem Glühen zwischen seinen Fingern. Er war seit kurz nach vier wach, geweckt von einem Anruf aus der Questura gemäß seiner Daueranweisung, ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit anzurufen, wenn in dem Fall eine bedeutsame Wendung eintrete. Zu dem Zeitpunkt war es bereits zu spät gewesen, irgendetwas zu tun. Was passiert war, war passiert, und es war wohl ganz allein seine Schuld. Polizeioperationen gingen ständig schief, aber das hier war etwas
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