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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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ihren leistungsstarken Macs und arbeiteten an den wenigen Aufträgen, die sie bisher ergattert hatten. Ein Plakat für das Hundvåg-Festival, ein paar Flyer und Handzettel, mehr war es bislang nicht. Sie hatten alles auf eine Karte gesetzt, was ich in Yngves Fall verstand; nach dem Studium hatte er in der Kommune Balestrand ein Jahr im Kulturamt gearbeitet, und mit dieser Berufserfahrung standen ihm nicht gerade alle Türen offen. Aber die Sache war nicht ohne Risiko, ihr einziges Kapital war ihr Geschmack, der dafür jedoch sicher und mittlerweile ziemlich verfeinert war, trainiert durch eine zwanzig Jahre währende Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ausdrucksformen der Popkultur, von Filmen und Plattencovern bis zu Kleidern und Songs, Magazinen und Fotobänden, vom Obskuren bis zum Kommerziellsten, immer darauf bedacht zu unterscheiden, was gut und was schlecht war in allem, was gewesen war, und dem, was gegenwärtig um sie entstand. Wir waren einmal bei Asbjørn gewesen, erinnere ich mich, und hatten drei Tage getrunken, als Yngve uns die Pixies vorspielte, eine damals neue und unbekannte amerikanische Band, und Asbjørn lag auf der Couch und wand sich vor Lachen, weil das, was wir hörten, so gut war. Das ist so klasse!, rief er durch die laute Musik. Ha ha ha! Ha ha ha! Das ist so klasse! Als ich mit neunzehn Jahren nach Bergen kam, besuchten er und Yngve mich an einem der ersten Tage in meiner Bude, und weder das Bild von John Lennon, das ich über den Schreibtisch gehängt hatte, noch das Plakat von einem Weizenfeld, auf dem der schmale Streifen Gras im Vordergrund so intensiv und geheimnisvoll glühte, noch das Filmplakat von The Mission mit Jeremy Irons fanden vor ihren Augen Gnade. Das ging einfach nicht. Das Bild von Lennon war eine Reminiszenz an meine letzte Zeit auf dem Gymnasium, in der ich mit drei anderen regelmäßig über Literatur und Politik diskutierte, Musik hörte, Filme sah und Wein trank, das Innere pries und mich vom Äußeren distanzierte, und Lennon hing als Apostel der Innerlichkeit an meiner Wand, obwohl mir im Grunde seit meiner Kindheit McCartneys Sentimentalität immer am besten gefallen hatte. Aber in Bergen waren die Beatles überhaupt kein Referenzpunkt, unter gar keinen Umständen und so dauerte es nicht lange, bis das Bild Lennons nicht mehr dort hing. Ihr untrüglicher Geschmack beschränkte sich jedoch nicht auf die Popkultur; Asbjørn war der Erste, der mir Thomas Bernhard empfahl, nachdem er in Gyldendals weißer Reihe Beton gelesen hatte, und das zehn Jahre, bevor sich die gesamte Literaturszene Norwegens auf ihn berief, während ich mich entsinne, dass ich Asbjørns Begeisterung für diesen Österreicher damals nicht recht nachvollziehen konnte und erst zehn Jahre später, gemeinsam mit den anderen Literaten Norwegens, seine Größe entdeckte. Dieser Riecher war Asbjørns großes Talent, ich bin nie wieder jemandem mit einem so sicheren Geschmack begegnet, aber wozu ließ er sich außer als Achse, um die sich das Studentenleben drehte, sonst noch nutzen? Das Wesen eines solchen Riechers ist es, zu urteilen, und um zu urteilen, muss man außerhalb stehen, und dort wird nichts erschaffen. Yngve war in einem höheren Maße innen, er spielte Gitarre in einer Band, schrieb eigene Stücke, hörte auf dieser Basis Musik und hatte darüber hinaus eine analytische, akademische Seite, die Asbjørn nicht im gleichen Maße besaß oder benutzte. Grafik-Design passte in vieler Hinsicht perfekt zu ihnen.
    Mein Roman war ungefähr zu der Zeit angenommen worden, als sie ihre Firma gründeten, und für mich stand sofort fest, dass sie den Umschlag entwerfen und so einen Fuß in die Tür der Verlagswelt bekommen mussten. Der Verlag sah das naturgemäß ein wenig anders. Der Lektor, Geir Gulliksen, erwähnte mir gegenüber, dass er sich mit einer Werbeagentur in Verbindung setzen würde, und wollte wissen, ob ich eine Vorstellung vom Umschlag hätte. Ich antwortete, dass ich es gerne sähe, wenn mein Bruder ihn entwerfen könnte.
    »Dein Bruder? Ist er Graphiker?
    »Na ja, er hat gerade erst angefangen. Er hat mit einem Freund in Stavanger eine Agentur gegründet. Sie sind gut, dafür verbürge ich mich.«
    »Wir machen Folgendes«, meinte Geir Gulliksen. »Sie machen einen Vorschlag, und wir schauen ihn uns an. Ist er gut, tja, dann sehe ich kein Problem.«
    Dabei blieb es. Im Juni fuhr ich zu ihnen und hatte ein Buch über Raumfahrt aus den fünfziger Jahren im Gepäck, das Vater

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