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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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versuchen. Du wärst bestimmt gut darin. Du bist groß, und außerdem hast du Fußball gespielt und besitzt das Siegergen. Möchtest du ein paar Schläge machen? Hier müssen irgendwo noch ein paar leichte Übungsbälle herumliegen.«
    »Jetzt? Beim besten Willen nicht.«
    »Das war ein Witz, Karl Ove«, sagte er.
    »Dass ich Golf spielen soll oder dass ich es jetzt tun soll?«
    »Dass du es jetzt tun sollst.«
    Der Nachbar, der mittlerweile kurz hinter der Hecke stand, die seinen Garten von Yngves trennte, hielt inne, richtete sich auf und strich sich mit der Hand über den nackten, verschwitzten Schädel. Auf der Terrasse saß eine Frau in weißen Shorts und einem weißen T-Shirt auf einem Stuhl und las Zeitung.
    »Weiß du, wie es Großmutter geht?«, sagte ich.
    »Ehrlich gesagt, nein«, erwiderte er. »Aber sie hat ihn gefunden. Man kann wohl davon ausgehen, dass es ihr nicht besonders gut geht.«
    »Im Wohnzimmer?«, sagte ich.
    »Ja«, sagte er, drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und stand auf.
    »Tja, wollen wir reingehen und was essen?«
    Am nächsten Morgen wurde ich davon geweckt, dass Ylva im Flur an der Treppe stand und schrie. Ich richtete mich im Bett halb auf und zog die Jalousie hoch, um sehen zu können, wie viel Uhr es war. Halb sechs. Ich seufzte und legte mich wieder hin. Das Zimmer, in dem ich schlief, war voller Umzugskartons, Kleider und anderer Dinge, die noch keinen Platz im Haus gefunden hatten. An der Wand stand ein Bügelbrett, auf dem zusammengefaltete Wäsche lag, ein asiatisch aussehender Wandschirm stand zusammengefaltet daneben, leicht gegen die Wand gelehnt. Hinter der Tür hörte ich Yngves und Kari Annes Stimmen, unmittelbar darauf ihre Schritte auf der alten Holztreppe. Das Radio, das unten eingeschaltet wurde. Wir hatten abgesprochen, gegen sieben zu fahren, um gegen elf in Kristiansand zu sein, aber im Grunde sprach nichts dagegen, bereits früher aufzubrechen, überlegte ich, setzte die Füße auf den Boden, zog Hose und T-Shirt an, lehnte mich vor und strich mir mit einer Hand durch die Haare, während ich in den Wandspiegel blickte. Die Gefühlsausbrüche vom Vortag hatten keine Spuren hinterlassen, Gefühle sind wie Wasser, sie passen sich stets der jeweiligen Umgebung an. Selbst die größte Trauer hinterlässt keine Spuren, und wenn man sie als so überwältigend empfindet und sie so lange anhält, liegt dies nicht daran, dass die Gefühle erstarrt sind, denn das können sie nicht, sondern dass sie stehen wie das Wasser in einem Waldsee.
    Fuck, dachte ich. Es war einer meiner gedanklichen Tics. Verdammte Scheiße war ein anderer. Die Worte flackerten in unregelmäßigen Abständen in meinem Bewusstsein auf, ließen sich nicht unterdrücken, aber warum sollte ich überhaupt versuchen, sie zu stoppen, sie schadeten doch keinem. Man konnte mir ja auch nicht ansehen, dass sie mir durch den Kopf gingen. So ein verfickter Mist, dachte ich und öffnete die Tür. Ich sah direkt in ihr Schlafzimmer und senkte den Blick, denn es gab Dinge, von denen ich nichts wissen wollte, zog das kleine Holzgatter zur Seite, ging die Treppe hinunter und in die Küche. Ylva saß mit einer Scheibe Brot in der Hand und einem Glas Milch vor sich auf ihrem Tripp-Trapp-Stuhl. Yngve stand am Herd und briet Eier, während Kari Anne sich zwischen Tisch und Schränken hin und her bewegte und den Tisch deckte. Das Lämpchen im Schalter der Kaffeemaschine leuchtete. Die letzten Tropfen aus dem Filter tropften gerade in den fast vollen Glaskolben. Die Dunstabzugshaube säuselte, die Eier brutzelten und blubberten in der Pfanne, im Radio ertönte der Jingle der Verkehrsnachrichten.
    »Guten Morgen«, grüßte ich.
    »Guten Morgen«, sagte Kari Anne.
    »Hallo«, sagte Yngve.
    »Karl Ove«, sagte Ylva und zeigte auf den Stuhl ihr gegenüber.
    »Da soll ich sitzen?«, sagte ich.
    Sie nickte mit großen Kopfbewegungen, und ich zog den Stuhl heraus und setzte mich. Von ihren Eltern ähnelte sie eher Yngve, sie hatte seine Nase und Augen, und seltsamerweise tauchten viele seiner Mienen auch bei ihr auf. Ihr Körper war noch nicht völlig dem Babyspeck entwachsen, alle Glieder und Körperteile wirkten weich und rund, und wenn sie die Stirn runzelte und einer von Yngves verschmitzten Ausdrücken in ihre Augen trat, fiel es einem schwer, nicht zu lächeln. Das machte sie nicht älter, ihn dagegen jünger: Plötzlich wurde einem klar, dass einer seiner typischen Gesichtsausdrücke nicht mit Erfahrung, Reife

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