Sterben: Roman (German Edition)
Jahre nicht mehr ausgesprochen hatte.
Yngve sah mich an.
»Nein …«, sagte er behutsam. »Er hat doch vor einem Jahr einen anderen Namen angenommen.«
»Stimmt, das hatte ich vergessen«, sagte ich. »Natürlich.«
Dieser bescheuerte Name, den er angenommen hatte.
Was war er nur für ein Idiot gewesen.
Ich schaute nach unten und blinzelte mehrmals.
»Kennen Sie seine Personennummer?«, erkundigte sich der Bestatter.
»Nein, nicht die ganze«, antwortete Yngve. »Tut mir leid. Aber geboren wurde er am 17. April 1944. Wir können die letzten Ziffern später nachreichen, falls das nötig ist.«
»Ist schon in Ordnung. Adresse?«
Yngve gab Großmutters Adresse an. Dann sah er mich an.
»Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das seine offizielle Adresse ist. Er ist bei seiner Mutter gestorben. Da hat er zuletzt gewohnt.«
»Das finden wir heraus. Und dann bräuchte ich natürlich auch noch Ihre Namen. Und eine Telefonnummer, unter der ich Sie erreichen kann.
»Karl Ove Knausgård«, sagte ich.
»Und Yngve Knausgård«, ergänzte Yngve und nannte seine Handynummer. Als der Mann sie sich notiert hatte, legte er den Stift fort und sah uns wieder an.
»Sind Sie schon dazu gekommen, sich Gedanken über die Beerdigung zu machen? Wann ein passender Termin sein könnte und wie sie ablaufen soll?«
»Nein«, antwortete Yngve, »haben wir nicht. Aber ist es nicht üblich, dass die Beerdigung ungefähr eine Woche nach dem Todesfall stattfindet?«
»Das ist üblich, ja. Dann wäre der nächste Freitag vielleicht ein passender Termin?«
»Tja«, sagte Yngve und sah mich an. »Was meinst du?«
»Freitag geht in Ordnung«, sagte ich.
»Dann halten wir das mal vorläufig so fest. Um alles Praktische zu besprechen, können wir uns ja noch einmal treffen, nicht wahr? Wenn die Beerdigung am Freitag sein soll, müssten wir uns Anfang nächster Woche sehen. Am besten schon am Montag. Lässt sich das einrichten?«
»Ja«, antwortete Yngve. »Könnten wir uns vielleicht relativ früh treffen?«
»Sicher. Sollen wir sagen, um neun?«
»Neun Uhr klingt gut.«
Der Bestatter notierte dies in einem Buch. Als er fertig war, stand er auf.
»Wir kümmern uns um alles Weitere. Wenn Sie Fragen haben, rufen Sie mich an, egal wann. Heute Nachmittag fahre ich in mein Sommerhaus und verbringe dort das ganze Wochenende, aber ich nehme das Handy mit, und Sie können mich jederzeit anrufen. Wir sehen uns dann am Montag.«
Er streckte die Hand aus, und wir verabschiedeten uns nacheinander per Händedruck, ehe wir sein Büro verließen und er mit einem kurzen, lächelnden Nicken die Tür hinter uns schloss.
Als wir auf der Straße waren und zum Auto gingen, hatte sich etwas verändert. Was ich sah, wovon wir umgeben waren, stand mir nicht mehr klar vor Augen, es war in den Hintergrund gedrängt worden, als wäre um mich herum eine Zone entstanden, aus der jeglicher Sinn gezogen worden war. Die Welt versank, so empfand ich es, aber es spielte keine Rolle, denn Vater war tot. Während mir das Büro mit all seinen Details höchst lebendig und deutlich vor Augen stand, blieb die Stadtlandschaft vage und grau, sie war etwas, das ich durchmaß, weil ich musste. Ich dachte nicht anders, mein Inneres war unverändert, der einzige Unterschied bestand darin, dass es nun mehr Raum forderte und die äußere Wirklichkeit dadurch von sich schob. Anders konnte ich es nicht erklären.
Yngve lehnte sich vor, um die Autotür aufzuschließen. Mir fiel ein weißes Band auf, das um den Dachgepäckträger geschlungen war, es glänzte und ähnelte den Schleifen, die man um Geschenke bindet, was es aber wohl kaum sein konnte, oder?
Er öffnete auf meiner Seite, und ich stieg ein.
»Das hat doch eigentlich ganz gut geklappt«, sagte ich.
»Ja«, meinte er. »Sollen wir jetzt zu Großmutter fahren?«
»In Ordnung«, sagte ich.
Er blinkte und fuhr auf die Straße, bog erst links und danach noch einmal links in die Dronningens gate ab, und schon bald sahen wir von der Brücke aus das Haus unserer Großeltern, gelb und auf einem Hügel über dem kleinen Jachthafen und dem Hafenbecken thronend. Den Kuholmsveien hinauf und in die kleine Straße, die so eng war, dass man ein kleines Stück den Hang hinunterfahren und anschließend rückwärts in den Gehweg einschlagen musste, ehe man hochfahren und vor der Treppe zum Haus parken konnte. Ich hatte meinen Vater diese Operation in meiner Kindheit vielleicht hundert Mal ausführen sehen, und schon der Umstand,
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