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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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oder behielt es für mich. Meine Persönlichkeit hatte deshalb etwas Schleichendes und Fragwürdiges und nichts von der Festigkeit und Reinheit wie bei manchen anderen Menschen, denen ich damals begegnete und die ich dafür bewunderte. Yngve stand ich zu nahe, um ihn in dieser Weise zu taxieren, denn das Denken, so viel Gutes man auch darüber sagen mag, hat eine große Schwäche: Es ist von einem gewissen Abstand abhängig, um zu funktionieren. Alles innerhalb dieses Abstands ist den Gefühlen überlassen. Wegen meiner Gefühle für ihn ging ich dazu über, ihm Dinge vorzuenthalten. Ihm durfte nichts misslingen. Meiner Mutter durfte auch mal was misslingen, das machte mir nichts aus, und Gleiches galt für meinen Vater und meine Freunde und nicht zuletzt auch für mich selbst, es war mir völlig egal, aber Yngve durfte nicht scheitern, sich nicht blamieren, keine Schwäche zeigen. Wenn er dies doch tat und ich voller Scham zusah, war trotzdem nicht die Scham der springende Punkt, sondern dass er nichts von ihr merken durfte, er durfte nicht erfahren, dass ich solche Gefühle hegte, und mein ausweichender Blick bei solchen Gelegenheiten, dessen Auftrag darin bestand, die Gefühle zu verbergen, statt sie auszudrücken, muss auffällig, allerdings auch schwer zu deuten gewesen sein. Sagte er etwas Blödes oder Banales, veränderte sich meine Haltung zu ihm ja nicht, ich bewertete ihn deshalb nicht anders, was in mir entstand, basierte ausschließlich darauf, dass er auf die Idee verfallen könnte, ich würde mich für ihn schämen.
    Wie damals, als wir eines späten Abends im Garage saßen und die Zeitschrift diskutierten, deren Gründung wir seit langem geplant hatten. Wir waren umgeben von Leuten, die schrieben und Bilder machten und denen allen gemeinsam war, dass sie ebenso vertraut waren mit der Liverpooler Mannschaft in der Spielzeit 1982/83 wie mit den Mitgliedern der Frankfurter Schule, mit englischen Bands wie mit norwegischen Schriftstellern, mit deutschen expressionistischen Filmen und amerikanischen Fernsehserien. Ein journalistisch orientiertes Magazin zu gründen, das diese Bandbreite von Interessen ernst nahm, Fußball, Musik, Literatur, Film, Philosophie, Fotografie, Kunst, erschien uns lange als eine glänzende Idee. In jener Nacht saßen wir mit Ingar Myking zusammen, der Redakteur der Studentenzeitung Studvest war, sowie mit Hans Mjelva, der nicht nur der Sänger unserer Band, sondern auch Ingars Vorgänger als Redakteur gewesen war. Als Yngve anfing, über das Magazin zu sprechen, hörte ich seine Worte plötzlich mit den Ohren von Hans und Ingar. Sie klangen platt und banal, und ich blickte nach unten auf den Tisch. Yngve sah beim Sprechen mehrmals kurz zu mir hinüber. Sollte ich sagen, was ich dachte, ihn folglich korrigieren? Oder sollte ich es gut sein lassen, mich selbst verleugnen und ihn unterstützen? Dann würden Ingar und Hans glauben, dass ich mich in dieser Frage auf dem gleichen Level befand wie er. Das wollte ich nun auch wieder nicht. Deshalb entschied ich mich für einen Kompromiss und blieb in dem Versuch stumm, mit meinem Schweigen sowohl Yngve als auch das Urteil über seine Worte, das ich Ingar und Hans unterstellte, zu bekräftigen.
    So feige war ich oft, denn ich wollte niemanden vor den Kopf stoßen und behielt für mich, was ich dachte, aber in dieser Situation herrschten verschärfte Umstände, weil es um Yngve ging, den ich über mir sehen wollte, wo er hingehörte, und weil Eitelkeit im Spiel war, will sagen Zuhörer, so dass ich ihm keinen Honig um den Mund schmieren konnte.
    Wenn Yngve und ich etwas zusammen machten, geschah es meistens zu seinen Bedingungen, und was mich alleine betraf, etwa das Lesen und Schreiben, hielt ich größtenteils heraus. Manchmal begegneten sich diese beiden Welten jedoch, das ließ sich nicht vermeiden, denn auch Yngve interessierte sich für Literatur, obwohl es ihm dabei nicht um das Gleiche ging wie mir. Zum Beispiel damals, als ich für ein Studentenmagazin den Schriftsteller Kjartan Fløgstad interviewen sollte und Yngve mir vorschlug, wir könnten das Gespräch gemeinsam führen, womit ich sofort einverstanden war. Fløgstad mit seiner Mischung aus Volkstümlichkeit und Intellektualität, seinen Theorien über das Hohe und das Niedrige, seiner undogmatischen und selbständigen, fast aristokratisch zu nennenden linken Gesinnung und nicht zuletzt mit seinen Wortspielen, war Yngves Lieblingsschriftsteller. Yngve war selbst

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