Sterben: Roman (German Edition)
berühmtberüchtigt für seine Wortspiele und seinen Wortwitz, und sein akademischer Königsweg folgte dem Gedanken, dass der Wert eines Kunstwerks beim Zuschauer oder Leser erschaffen wurde und nicht an sich existierte, und der Ausdruck des Authentischen genauso eine Frage der Form war wie der des nicht Authentischen. Für mich war Fløgstad in erster Linie ein großer norwegischer Schriftsteller. Der Auftrag für das Interview kam von der kleinen, neu-norwegischen Studentenzeitschrift TAL , für die ich zuvor den Dichter Olav H. Hauge und die Prosaautorin Karin Moe interviewt hatte. Das Interview mit Hauge hatte ich zusammen mit Espen und Yngves Freund Asbjørn als Fotograf gemacht, so dass Yngves Beteiligung mir mehr als natürlich erschien. Das Interview mit Hauge war gut gelaufen, obwohl es zugegebenermaßen schlecht begann, weil ich versäumt hatte, ihm mitzuteilen, dass wir zu dritt kommen würden, so dass er nur einen erwartete, als das Auto auf seinen Hof bog, und er uns anfangs überhaupt nicht ins Haus lassen wollte. Ihr seid ja ein ganzer Haufen , sagte er im Türrahmen stehend, und konfrontiert mit seiner kurz angebundenen westnorwegischen Art fühlte ich mich plötzlich wie ein fröhlicher, leichtlebiger, dummer, übereifriger, impulsiver, rotbackiger Südnorweger. Hauge war ein Einheimischer des Geistes, er ließ sich durch nichts erschüttern, ich war ein Tourist des Geistes und hatte meine Bekannten mitgebracht, um das Phänomen näher in Augenschein zu nehmen. So empfand ich es und der grimmigen, fast feindseligen Miene Hauges nach zu urteilen er wahrscheinlich auch. Am Ende sagte er jedoch Na, dann kommt mal rein und trottete vor uns ins Wohnzimmer, wo wir unsere Taschen und Fototaschen abstellten. Asbjørn holte die Kamera heraus und hob sie ins Licht, Espen und ich zogen unsere Notizen hervor, Hauge saß auf einer Bank an der Wand und sah zu Boden. Könnten Sie sich vielleicht vor das Fenster da stellen , sagte Asbjørn, da ist das Licht gut. Dann können wir ein paar Fotos machen. Hauge sah zu ihm auf, die grauen Haare hingen ihm in die Stirn. Hier werden verdammt nochmal keine Fotos gemacht , beschied er. Also nicht , sagte Asbjørn. Entschuldigen Sie bitte . Er zog sich ein wenig zurück und legte die Kamera diskret in die Fototasche zurück. Espen setzte sich neben mich, blätterte in seinen Notizen, hielt in der anderen Hand einen Stift. Ich kannte ihn und wusste, dass es nicht Konzentration war, was ihn ausgerechnet jetzt veranlasste, sie zu lesen. Es verging eine längere Zeit, ohne dass igendjemand etwas sagte. Espen sah mich an. Sah Hauge an. Ich habe eine Frage , sagte er. Ist es in Ordnung, wenn ich sie jetzt stelle? Hauge nickte und strich die herabhängende Tolle mit einer Bewegung dorthin zurück, wo sie eigentlich liegen sollte, die überraschend locker und weiblich war im Vergleich zu seiner sonstigen männlichen Reglosigkeit und Stummheit. Espen setzte an, seine Frage zu stellen, und las sie ab, sie war lang und kompliziert und enthielt eine kurze Analyse eines Gedichts. Als er fertig war, sagte Hauge ohne aufzublicken, er spreche nicht über seine Gedichte.
Ich hatte Espens Fragen gelesen, die ausnahmslos sehr direkt auf die Gedichte eingingen, und wenn Hauge wirklich nicht über seine Gedichte sprechen wollte, war jede einzelne von ihnen unbrauchbar.
Das nachfolgende Schweigen währte lange. Jetzt war Espen genauso mürrisch und verschlossen wie Hauge. Die beiden sind Dichter, dachte ich, so sind sie eben. Verglichen mit ihrer schweren Düsternis fühlte ich mich wie ein Leichtgewicht, ein Dilettant, der über keine Erkenntnisse zu nichts verfügte, nur an der Oberfläche trieb, Fußball guckte, die Namen einiger Philosophen kannte und für Popmusik der simpelsten Sorte schwärmte. Einer der Texte, die ich für unsere Band geschrieben hatte und der noch am ehesten an Lyrik heranreichte, hieß »Du wiegst dich so wundersam«. Doch jetzt musste ich trotzdem in die Bresche springen, denn es war klar, dass Espen nichts mehr sagen würde, und so stellte ich eine Frage über Jølster, wo meine Mutter wohnte, weil der Maler Astrup dorther stammte, für den sich Hauge interessierte, er hatte sogar ein Gedicht über ihn geschrieben. Der Künstler war offenbar ein Wahlverwandter. Darüber wollte er jedoch nicht sprechen. Stattdessen begann er, von einem Ausflug nach Jølster vor langer Zeit zu erzählen, es klang nach irgendwann in den sechziger Jahren, und alle Namen, die er
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