Sterben: Roman (German Edition)
könnten wir uns Krabben und ein paar Flaschen Bier kaufen und den Beginn meines neuen Lebens feiern. Wir saßen auf der Treppe vor seiner Wohnung und tranken Bier, während die Musik der Undertones aus der Stereoanlage im Wohnzimmer zu uns herausschallte. Als es Abend wurde, waren wir bereits ein wenig angetrunken, riefen ein Taxi und fuhren zu Ola, einem unserer Freunde, und tranken noch etwas, ehe wir ins Café Opera gingen, wo wir, bis das Lokal schloss, an einem Tisch sitzen blieben, zu dem ständig Leute kamen. Das ist mein jüngerer Bruder Karl Ove, sagte Yngve jedes Mal, er ist nach Bergen gekommen, um an der Akademie für Schreibkunst zu studieren. Er will Schriftsteller werden. Yngve hatte mir draußen in Sandviken eine Bude besorgt, deren Bewohnerin für ein Jahr nach Südamerika gehen wollte, aber bis die Wohnung frei wurde, würde ich bei ihm auf der Couch schlafen können. Dort tadelte er mich wegen jeder Kleinigkeit, wie er es die wenigen Male, die wir länger als ein, zwei Tage zusammenwohnten, immer getan hatte, angefangen bei seiner Zeit in Alrek, wo er mit mir schimpfte, weil ich zu dicke Scheiben vom Molkenkäse abschnitt oder die Platten nicht dorthin zurückstellte, wo ich sie herausgezogen hatte, und seine Zurechtweisungen lagen auch jetzt auf dieser Ebene, ich wischte den Fußboden nach dem Duschen nicht gründlich genug trocken, ich krümelte beim Essen auf den Boden, ich war nicht vorsichtig genug, wenn ich die Nadel in die Schallplattenrille setzte, bis mir auf einmal der Kragen platzte, als wir neben seinem Auto standen und er mir vorhielt, ich hätte die Autotür beim letzten Mal zu fest zugeschlagen. Wutentbrannt schrie ich, er solle aufhören, mir zu sagen, was ich zu tun hätte. Und das tat er, von da an wies er mich nie mehr zurecht. Aber die Balance in unserer Beziehung blieb unverändert, ich hatte seine Welt betreten und war und blieb in ihr der jüngere Bruder. Mein Alltag an der Akademie für Schreibkunst war kompliziert, und Freunde fand ich dort keine, zum einen, weil alle älter waren als ich, zum anderen, weil ich einfach keine Berührungspunkte zwischen ihnen und mir ausmachen konnte, was dazu führte, dass ich meistens Yngve hinterhertrottete, ihn anrief und fragte, ob er für das Wochenende schon Pläne hätte, was natürlich der Fall war, ob ich mitkommen könne? Das konnte ich. Und nachdem ich einen ganzen Sonntag allein durch die Stadt gelaufen war oder zu Hause im Bett gelegen und gelesen hatte, war die Versuchung, abends bei ihm vorbeizuschauen, obwohl ich mir sagte, dass ich es nicht tun durfte, da ich alleine zurechtkommen musste, einfach zu groß, um ihr widerstehen zu können, weshalb ich an unzähligen Abenden auf der Couch vor seinem Fernseher landete.
Später zog er in eine Wohngemeinschaft, was für mich ungünstig war, denn dadurch wurde meine Abhängigkeit von ihm erst recht offenbar; es verging kaum ein Tag, an dem ich nicht an seiner Tür klingelte, und wenn er nicht zu Hause war, blieb ich in ihrem gemeinsamen Wohnzimmer sitzen, in pflichtschuldiger Gesellschaft eines Mitbewohners oder allein, in einem Musikmagazin oder einer Zeitung blätternd wie die verdammte Karikatur eines gescheiterten Menschen. Ich brauchte Yngve, Yngve brauchte mich nicht. So war es. Sicher, wenn er dabei war, konnte ich mich mit seinen Freunden unterhalten, dann gab es einen Zusammenhang, aber allein? Einen von ihnen alleine besuchen? Das wäre nun wirklich seltsam und gewollt und aufdringlich gewesen, das ging nicht. Außerdem war es so, dass mein Benehmen damals gelinde gesagt nicht immer vorbildlich war, ich betrank mich zu oft und ließ es mir nicht nehmen, andere zu verhöhnen, wenn mir der Sinn danach stand. Oft wegen ihres Aussehens oder kleiner, dummer Eigenheiten, die mir an ihnen aufgefallen waren.
Der Roman, an dem ich arbeitete, während ich die Akademie für Schreibkunst besuchte, wurde abgelehnt, ich schrieb mich an der Universität ein, studierte halbherzig Literaturwissenschaft, war nicht mehr fähig zu schreiben, und von meinem Leben als Schriftsteller war nur noch der Wunsch geblieben, es zu haben. Der war dafür allerdings umso größer, aber wie viele hingen im Universitätsmilieu solchen Wünschen nach? Wir spielten mit unserer Band Die Kafkalandschaften im Hulen, wir spielten im Garage, ein paar unserer Stücke wurden im Radio gesendet, wir bekamen ein paar gute Rezensionen in Musikzeitschriften, was toll war, aber gleichzeitig wusste ich natürlich, dass
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