Sterben: Roman (German Edition)
schaffen wir es locker, es in einer Woche in Schuss zu bringen. Es geht mir irgendwie darum, dass er hier alles so verwüstet hat. Und wir uns damit nicht einfach abfinden können. Verstehst du, was ich meine?«
»Natürlich«, erwiderte Yngve. »Aber meinst du wirklich, das schaffen wir? Montagabend muss ich nach Stavanger zurück. Und vor Donnerstag kann ich nicht zurückkommen. Vielleicht auch schon Mittwoch, aber Donnerstag ist wahrscheinlicher.«
»Das geht«, sagte ich. »Bist du einverstanden?«
»Ja. Fragt sich nur, ob Gunnar so begeistert sein wird.«
»Das geht ihn nichts an. Es ist unser Vater.«
Wir rauchten wortlos zu Ende. Unter uns hatte der Abend begonnen, die Landschaft in sanfteres Licht zu tauchen; ihre scharfen Kanten, die auch das Wirken der Menschen einschlossen, wurden nach und nach abgeschwächt. Auf dem Fjord nahmen einige Boote Kurs aufs Land, und ich dachte an die Gerüche an Bord, Plastik, Salz, Benzin, die ein so wichtiger Bestandteil meiner Kindheit gewesen waren. Ein Passagierflugzeug glitt so tief über die Stadt hinweg, dass ich das SAFE -Logo der Fluggesellschaft Braathens erkennen konnte. Es verschwand mit einem leisen Grollen aus meinem Blickfeld. Im Garten zwitscherten im Schutz der Laubkrone eines Apfelbaums ein paar Vögel.
Yngve leerte sein Glas und stand auf.
»Eine letzte Schicht«, sagte er. »Dann machen wir für heute Abend Schluss.«
Er sah mich an.
»Bist du unten gut vorangekommen?«
»Mit der Waschküche bin ich fertig und mit den Badezimmerwänden.«
»Gut«, sagte er.
Ich folgte ihm ins Haus. Als ich die lauten, aber komprimierten Geräusche des Fernsehers hörte, fiel mir ein, dass Großmutter davor saß. Ich konnte nichts für sie tun, das konnte niemand, aber ich dachte, dass es sie vielleicht ein bisschen erleichtern würde, wenn sie uns sah, und daran erinnert wurde, dass wir da waren, so dass ich zu ihr ging und mich neben ihren Sessel stellte.
»Brauchst du etwas?«, sagte ich.
Sie blickte schnell zu mir hoch.
»Du bist das?«, sagte sie. »Wo ist Yngve?«
»Er ist in der Küche.«
»Aha«, sagte sie und wandte den Blick erneut dem Fernseher zu. Sie war immer noch lebhaft, aber es wurde auf andere Weise sichtbar, war nur noch verbunden mit ihren Bewegungen und nicht mehr wie sonst mit ihrem Charakter. Früher war sie lebhaft, fröhlich, gesellig, schlagfertig gewesen, hatte einem oft zugezwinkert, um die Ironie in ihren Worten sichtbar zu machen. Jetzt herrschte Dunkelheit in ihr. Ihre Seele war dunkel. Das sah ich, es stach einem ins Auge. Aber war die Finsternis vielleicht schon immer da gewesen? War sie seit jeher von ihr erfüllt gewesen?
Ihre Arme lagen auf den Lehnen, und ihre Hände umklammerten deren Enden, als führe sie mit hohem Tempo.
»Ich gehe dann mal runter, das Badezimmer putzen«, sagte ich.
Sie wandte sich zu mir um.
»Du bist das?«, sagte sie.
»Ja«, erwiderte ich. »Ich gehe runter und putze das Badezimmer. Brauchst du etwas?«
»Nein, danke«, sagte sie.
»Okay«, sagte ich, drehte mich um, zum Gehen bereit.
»Genehmigt ihr zwei euch abends auch schon mal ein Gläschen?«, sagte sie. »Du und Yngve?«
Bildete sie sich etwa ein, dass wir auch tranken? Dass nicht nur Vater sein Leben zerstörte, sondern auch seine Söhne?
»Nein«, sagte ich. »Bestimmt nicht.«
Großmutter schien nichts mehr sagen zu wollen, und ich ging die Treppe ins Kellergeschoss hinunter, wo es immer noch bestialisch stank, obwohl ich die Quelle des Geruchs entfernt hatte, spülte den roten Eimer aus, füllte ihn mit neuem, kochend heißem Wasser und fuhr fort, das Bad zu putzen. Zunächst den Spiegel, von dem sich der gelblich braune Belag kaum entfernen ließ. Er ging erst ab, als ich ein Messer, das ich mir oben in der Küche holte, und einen groben Scheuerlappen benutzte, danach das Waschbecken, dann die Badewanne, dann den Fenstersims über ihr, dann die unebene, länglich schmale Fensterscheibe, dann den Toilettensitz, dann Tür, Türschwelle und Türrahmen, ehe ich schließlich den Fußboden schrubbte, das dunkelgraue Putzwasser in die Toilette goss und die Mülltüte auf die Eingangstreppe hinaustrug, wo ich einige Minuten stehenblieb und in die trübe Sommerdunkelheit schaute, die keine Dunkelheit war, sondern eher wie ein defektes Licht wirkte.
Die erhobenen Stimmen, die in einiger Entfernung auf der Hauptstraße lauter und leiser wurden, weil vermutlich eine Clique auf dem Weg in die Stadt war, riefen mir in Erinnerung, dass
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