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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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den ersten Jahren in Bergen entwickelt hatte, als Yngve abrupt die Stadt verließ, er hatte eine Stelle im Kulturamt der Kommune Balestrand bekommen, was vielleicht nicht das war, was er sich erträumt hatte, aber in der Verwaltung hatte er keinen direkten Vorgesetzten, so dass er praktisch Kulturamtsleiter war, und außerdem wurde dort ein Jazzfestival veranstaltet, das er organisieren musste, und etwas später folgte ihm sein Freund Arvid, ebenfalls mit einer Anstellung bei der Kommune. Er traf Kari Anne, die er flüchtig aus Bergen kannte und die dort als Lehrerin arbeitete, sie wurden ein Paar und bekamen ein Kind, Ylva, und zogen ein Jahr später nach Stavanger, wo Yngve sich also Hals über Kopf in einen ihm fremden Beruf, Graphik-Design, gestürzt hatte. Es gefiel mir, dass er dies tat, aber ich machte mir auch Sorgen, ein Plakat für das Hundvåg-Festival und ein Flyer für eine lokale Veranstaltung, reichte das?
    Wenn wir uns trafen, berührten wir uns nie, gaben wir uns nicht einmal die Hand und sahen uns nur selten in die Augen.
    All das existierte in mir, als wir uns an diesem lauen Sommerabend 1998 auf der Veranda vor Großmutters Haus befanden, ich mit dem Rücken zum Garten, er in einem Liegestuhl an der Wand. Ob er darüber nachdachte, was ich gerade gesagt hatte, dass ich mich um alles kümmern wollte, auch den Garten, oder ob ihm das egal war, ließ sich seinem Gesicht nicht ablesen.
    Ich drehte mich um und löschte die Kippe an der Unterseite des schwarzen, schmiedeeisernen Geländers. Kleine Körnchen Asche und Glut rieselten auf den Beton hinab.
    »Steht hier irgendwo ein Aschenbecher?«, sagte ich.
    »Nicht, dass ich wüsste«, antwortete er. »Nimm die Flasche da.«
    Ich befolgte seinen Rat und steckte die Kippe in den Hals der grünen Heineken-Flasche. Der Vorschlag, die Trauerfeier im Haus abzuhalten, den er mit ziemlicher Sicherheit absurd finden würde, hätte den Unterschied zwischen uns aufgedeckt, den ich nicht sichtbar werden lassen wollte. Er würde als realistisch und pragmatisch, ich dagegen als idealistisch und gefühlsbetont dastehen. Vater war unser beider Vater gewesen, aber auf unterschiedliche Art, und dass ich seine Beerdigung zu einer Art Wiedergutmachung nutzen wollte, konnte angesichts der Tatsache, dass ich ständig weinte, während Yngve noch keine Träne vergossen hatte, so verstanden werden, als wäre mein Verhältnis zu ihm inniger gewesen, und, wie ich zudem ahnte, als versteckte Kritik an Yngves Verhalten. Ich sah es nicht so, befürchtete nur, dass man es so sehen könnte. Gleichzeitig würde der Vorschlag zu einem Zusammenprall seines und meines Willens führen. Sicher, wegen einer Lappalie, aber in der momentanen Situation wollte ich, dass nichts zwischen uns stand.
    Ein schmaler Streifen Rauch stieg wellenförmig aus der Flasche an der Wand auf. Die Zigarette war anscheinend doch nicht ganz aus gewesen. Ich sah mich nach etwas um, das ich auf die Öffnung stellen konnte. Vielleicht der Dessertteller, den Großmutter für das Futter der Möwe benutzt hatte? Es lagen noch zwei Bissen Frikadelle und etwas eingetrocknete Sauce darauf, aber eigentlich müsste es gehen, überlegte ich und balancierte ihn vorsichtig auf den Flaschenhals.
    »Was machst du denn da?«, sagte Yngve und sah mich an.
    »Ich gestalte eine kleine Skulptur«, erwiderte ich. »Frikadelle und Bier im Garten, heißt sie. Oder von mir aus auch carbonade and beer in the garden.«
    Ich richtete mich auf und trat einen Schritt zurück.
    »Das Raffinierte an ihr ist der aufsteigende Rauch«, erklärte ich. »Er lässt sie gewissermaßen mit der Welt interagieren. Es handelt sich nicht nur um eine gewöhnliche Skulptur. Und die Essensreste stehen natürlich für Fäulnis. Auch das eine Interaktion, ein Prozess, etwas, das in Bewegung ist. Möglicherweise die Bewegung an sich ist. Im Kontrast zum Statischen. Und die Bierflasche ist leer, hat keine Funktion mehr, denn was ist schon ein Behälter, der nichts enthält? Er ist nichts. Aber das Nichts hat eine Form, verstehst du? Und diese Form habe ich hier zu zeigen versucht.«
    »So, so«, sagte er.
    Ich nahm mir eine neue Zigarette aus der Schachtel, die auf dem Geländer gelegen hatte, obwohl ich keine große Lust auf sie hatte, und zündete sie an.
    »Du?«, sagte ich.
    »Ja?«, sagte er.
    »Ich habe da über etwas nachgedacht. Ziemlich viel sogar. Es geht darum, ob wir die Trauerfeier nicht hier abhalten sollen. Im Haus. Wenn wir uns reinhängen,

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