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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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bedächtig öffnete und schloss, der Bart unter dem blassweißen Kinn, die gelben, starren Augen. Die Männer, die dort arbeiteten, trugen weiße Schürzen und Gummistiefel. Einer von ihnen schnitt einem Dorsch mit einem großen, fast viereckigen Messer den Kopf ab. Im nächsten Augenblick, nachdem er den schweren Kopf zur Seite geschoben hatte, schlitzte er den Bauch auf. Die Eingeweide rutschten zwischen seinen Fingern hindurch heraus. Sie waren bleich und ein Gewirr und wurden in einen großen Mülleimer neben ihm geworfen. Warum waren sie so bleich? Ein anderer Mann hatte gerade einen Fisch in Papier eingeschlagen und tippte nun etwas mit einem Finger in die Kasse ein. Mir war damals aufgefallen, erinnerte ich mich, dass er die Tasten ganz anders bediente, als man es in anderen Geschäften tat, als würden zwei verschiedene Welten, eine aparte und eine grobe, eine drinnen und eine draußen, hier, in den brüsken, aber dennoch ungeübten Fingerbewegungen des Fischverkäufers zusammengeführt. Es roch nach Salz. In den Theken lagen Fische und Garnelen auf Eis. Großmutter, die eine Pelzmütze und einen dunklen, knöchellangen Mantel trug, stellte sich vor einer der Auslagen in die Schlange, während ich zu einer mit lebenden Krabben gefüllten Holzkiste ging. Die Oberseiten der Tiere waren dunkelbraun wie vermoderte Blätter, die Unterseiten gelblich weiß wie Knochen. Ihre schwarzen, stecknadelkopfähnlichen Augen, die Antennen, die Scheren, die klackerten, wenn sie übereinander kletterten. Die Krabben waren eine Art Behälter, dachte ich, Behälter voller Fleisch. Dass sie aus der Tiefe kamen und zu uns hochgehievt worden waren, genau wie die vielen lebenden Fische, war abenteuerlich. Ein Mann spritzte den Betonboden ab, Wasser lief schäumend zum Abflussgitter. Großmutter lehnte sich vor und zeigte auf einen ganz platten Fisch, der grünlich mit rostroten Punkten war, und der Verkäufer hob ihn von seinem Eislager, legte ihn auf eine Waage und anschließend auf Papier, in das er ihn einschlug. Das Päckchen steckte er in eine Tüte, die er Großmutter reichte, die ihm wiederum einen Geldschein aus ihrem kleinen Portemonnaie gab. Doch all das Abenteuerliche, das den Fischen dort zu eigen war und sie umgab, verschwand, wenn sie weiß, schwabbelig, salzig und voller Gräten auf meinem Teller lagen, so wie auch die Fische, die Vater und wir im Meer vor der Tromøya oder im Sund zum Festland mit Pilke, Schleppangel oder Angelrute fingen, nichts Abenteuerliches mehr hatten, sobald sie zubereitet worden waren und in den siebziger Jahren auf einem der großen braunen Teller in unserem Haus in Tybakken lagen.
    Wann mochte ich mit Großmutter in der Fischhalle gewesen sein?
    Ich hatte mich in meiner Kindheit nur selten wochentags bei meinen Großeltern aufgehalten. Also war es vermutlich in den Winterferien gewesen, die Yngve und ich einmal bei ihnen verbracht hatten. Als wir alleine den Bus nach Kristiansand nahmen. Das bedeutete, dass auch Yngve an jenem Tag dabei gewesen sein musste. In meiner Erinnerung tauchte er allerdings nicht auf. Und die Krabben, die konnten dort nicht gewesen sein; die Winterferien waren immer im Februar, und um die Zeit gab es keine lebenden Krabben zu kaufen. Hätte es sie doch gegeben, hätten sie sich nicht in einer Holzkiste befunden. Woher kam also dieses so deutliche und detaillierte Bild von ihnen?
    Irgendwoher. Wenn es etwas gab, was in meiner Kindheit allgegenwärtig gewesen war, dann waren dies Fische und Krabben, Garnelen und Hummer. Unzählige Male hatte ich Vater kalte Fischreste aus dem Kühlschrank holen sehen, die er abends im Stehen in der Küche aß oder in den Ferien auch morgens. Am besten schmeckten ihm gleichwohl die Krabben; wenn es Spätsommer war, fuhr er nach der Schule oft zum Fischerhafen in Arendal und kaufte ein paar, wenn er sie nicht ausnahmsweise selbst fing, abends und nachts, auf einem der Felseilande in den Schären oder entlang der flachen Felsen auf der Meerseite der Insel. Manchmal begleiteten wir ihn, und mir ist vor allem eine Tour in Erinnerung geblieben, eine Nacht draußen auf Torungen fyr unter einem blauschwarzen Augusthimmel, als uns die Möwen angriffen, sobald wir aus dem Boot stiegen und über die Insel gingen, und wir nachher, mit zwei Eimern voller Krabben, in einer Senke ein Lagerfeuer machten. Die Flammen züngelten gen Himmel. Das Meer lag schwer ringsumher. Vaters Gesicht leuchtete.
    Ich setzte das Glas ab, schnitt mir einen Bissen

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