Sterben: Roman (German Edition)
ihre Finsternis versunken. Gegen vier fuhr Yngve los, um etwas fürs Abendessen zu besorgen, und ich, der ich mir des ganzen Hauses ringsum bewusst war, hoffte inständig, dass Großmutter nicht zu einer ihrer wenigen Wanderungen aufbrechen und zu mir kommen würde, denn ich hatte das Gefühl, dass meine Seele, oder was immer es sein mochte, worin andere Menschen derart leicht Spuren hinterließen, so zerbrechlich und empfindsam war, dass ich den Druck nicht ertrüge, den ihre so von Düsternis und Trauer zerrissene Gegenwart mit sich bringen würde. Doch meine Hoffnung war vergeblich, denn nach einer Weile hörte ich oben die Tischbeine scharren und kurz darauf ihre Schritte, erst im Wohnzimmer, danach im Treppenhaus.
Sie hielt sich am Geländer fest wie vor dem Rand eines Abgrunds.
»Da bist du«, sagte sie.
»Ja«, sagte ich. »Aber ich bin bald fertig.«
»Und wo ist Yngve?«
»Er ist einkaufen«, antwortete ich.
»Ach ja, stimmt ja«, sagte sie, blieb lange stehen und betrachtete meine Hand, die mit dem Lappen zwischen den Fingern auf dem Handlauf auf- und abglitt. Dann schaute sie auf mein Gesicht. Ich begegnete ihrem Blick, und ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinab. Sie sah aus, als würde sie mich hassen.
Sie seufzte und zog die Locke, die ihr immer wieder ins Gesicht fiel, zur Seite.
»Du bist fleißig«, erklärte sie. »Du bist wirklich fleißig.«
»Na ja«, sagte ich. »Aber es ist doch gut, was zu tun, wenn wir schon mal damit angefangen haben, nicht?«
Aus dem Freien drang das Geräusch eines Automotors ins Haus.
»Da ist er ja«, sagte ich.
»Wer?«, sagte sie. »Gunnar?«
»Yngve«, antwortete ich.
»Ist er denn nicht hier?«
Ich antwortete nicht.
»Ach ja, stimmt ja«, sagte sie. »Ich werde langsam ein bisschen schusselig!«
Ich lächelte, ließ den Lappen in das trübe Wasser fallen, packte den Eimer am Henkel.
»Dann wollen wir mal was kochen«, sagte ich.
In der Küche goss ich das Wasser weg, wrang den Lappen aus und hängte ihn über den Rand des Eimers, während Großmutter sich auf ihren Platz setzte. Als ich den Aschenbecher vom Tisch nahm, zog sie den untersten Teil der Gardine zur Seite und schaute nach draußen. Ich spülte den Aschenbecher aus, ging zurück und nahm die Tassen, legte sie ins Spülbecken, machte den Küchenlappen feucht, sprühte etwas Reinigungsspray auf den Tisch und wischte ihn ab, als Yngve mit einer Tüte in jeder Hand hereinkam. Er setzte sie ab und begann, sie auszuräumen. Als Erstes legte er die Sachen, die wir zu Abend essen wollten, auf die Arbeitsplatte, vier vakuumverpackte Lachsfilets, einen Plastikbeutel mit erdigen Kartoffeln, einen Blumenkohl und ein Paket Tiefkühlbohnen, danach alle anderen Waren, die er teils in den Kühlschrank, teils in den daneben stehenden Schrank räumte. Eine 1,5-Liter-Flasche Sprite, eine 1,5-Liter-Flasche CB -Bier, eine Tüte Orangen, einen Milchkarton, einen Karton Orangensaft, ein Brot. Ich stellte den Herd an und zog eine Bratpfanne aus dem Schrank unter der Arbeitsplatte, holte die Margarine aus dem Kühlschrank, schnitt ein Stück ab und gab es in die Pfanne, füllte einen großen Topf mit Wasser und stellte ihn auf die hintere Platte, löste den Knoten der Plastiktüte und kippte die Kartoffeln ins Spülbecken, ließ Wasser laufen und begann sie zu putzen, während der Margarineklecks auf dem schwarzen Boden der Bratpfanne langsam nach außen segelte. Nochmals fiel mir auf, wie rein und deshalb ermutigend die Gegenwart der Waren war, ihre klaren Farben, etwa das grünweiße Plastik, in dem die Bohnen lagen, mit der roten Schrift und dem roten Logo, oder die weiße Papiertüte, die das Brot bis auf das Endstück umschloss, wo die abgerundete, dunkle Kruste herauslugte wie ein schneckenartiges Tier aus seinem Haus, oder, schoss es mir durch den Kopf, wie ein Mönch aus seiner Mönchskutte. Die Apfelsinen, die orange das Plastik ausbeulten. Wie sie als Menge, bei der die Kugelform jeder einzelnen zwischen den anderen verdeckt wurde, fast dem Lehrbuchmodell eines Moleküls ähnelten. Wie der Geruch, der sich im Raum verbreitete, sobald sie geschält oder aufgeschnitten wurden, mich stets an Vater erinnerte. Das waren die Zimmer, in denen er sich aufgehalten hatte, und der Geruch: Zigarettenrauch und Apfelsine. Betrat ich mein eigenes Büro und nahm diesen Geruch darin wahr, erfüllte mich dies unweigerlich mit positiven Gefühlen.
Aber warum? Worin bestand das Positive?
Yngve knüllte die beiden
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