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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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weihnachtlichen Brotbelag heraus, Schinken, Presskopf, Lammrolle, Leberwurst, schnitt mir ein paar Scheiben Brot ab, holte mir die Zeitung aus dem Wohnzimmer, breitete sie auf dem Tisch aus und setzte mich, um sie beim Essen zu lesen. Draußen war es mittlerweile dunkel. Mit der roten Decke auf dem Tisch und den kleinen, brennenden Kerzen im Fenster war es recht gemütlich. Als das Wassser kochte, spülte ich die Teekanne mit heißem Wasser aus, gab einige Prisen Teeblätter hinein, goss das dampfende Wasser darüber und rief ins Haus:
    »Mama, möchtest du auch einen Tee?«
    Keine Antwort.
    Ich setzte mich und aß weiter. Kurz darauf nahm ich die Teekanne und goss ein. Dunkelbraun, irgendwie holzartig, stieg der Tee an den weißen Wänden der Tasse hoch. Ein paar Blätter trieben wirbelnd mit, die anderen legten sich wie ein schwarzer Teppich auf den Boden. Ich goss Milch dazu, rührte drei Löffel Zucker ein, wartete, bis sich die Teeblätter wieder auf den Boden gelegt hatten, und trank.
    Mm.
    Unten auf der Straße sauste blinkend ein Schneepflug vorbei. Dann wurde die Haustür geöffnet. Ich hörte das Geräusch von Schuhen, die auf der Eingangsstufe abgetreten wurden, und drehte mich gerade noch rechtzeitig um, um Mutter zu sehen, die in Vaters übergroßer Lammfelljacke mit einem Stapel Brennholz auf den Armen zur Tür hereinkam.
    Wieso zog sie seine Kleider an? Das sah ihr nicht ähnlich.
    Ohne in meine Richtung zu schauen, ging sie ins Wohnzimmer. Sie hatte Schnee in den Haaren und auf den Jackenaufschlägen. Es polterte im Holzkorb.
    »Möchtest du einen Tee?«, fragte ich, als sie zurückkehrte.
    »Danke, gern«, sagte sie. »Ich zieh nur schnell die Jacke aus.«
    Ich stand auf und holte eine Tasse für sie heraus, stellte sie auf der anderen Seite des Tischs ab und goss ein.
    »Wo bist du gewesen?«, sagte ich, als sie sich hinsetzte.
    »Nur draußen, ein bisschen Holz holen«, antwortete sie.
    »Und davor? Ich sitze hier schon eine ganze Weile. Es dauert doch keine zwanzig Minuten, Holz zu holen?«
    »Ach, ich habe in der Weihnachtsbaumbeleuchtung draußen eine Kerze ausgetauscht. Jetzt brennt sie wieder.«
    Ich wandte mich um und sah zum Fenster im anderen Zimmer hinaus. Die Tanne am Ende des Grundstücks glitzerte in der Dunkelheit.
    »Kann ich dir bei irgendwas helfen?«, sagte ich.
    »Nein, es ist alles fertig. Ich will nur noch meine Bluse bügeln. Dann gibt es erst wieder was zu tun, wenn gekocht werden muss. Aber das übernimmt ja Papa.«
    »Kannst du mein Hemd auch gleich bügeln?«, sagte ich.
    Sie nickte.
    »Leg es mir einfach aufs Bügelbrett.«
    Nachdem ich gegessen hatte, ging ich in mein Zimmer hinauf, schaltete den Verstärker ein, schloss die Gitarre an und setzte mich, um ein wenig zu spielen. Ich liebte den Geruch, den der Verstärker absonderte, wenn er heiß wurde, spielte manchmal fast nur aus diesem Grund. Ich liebte auch die vielen kleinen Dinge, die für das Gitarrrespielen erforderlich waren, die Fuzzbox und das Chorus-Pedal, die Kabel und Stecker, die Plektren und die kleinen Packungen mit Saiten, das Bottleneck, den Kapo, den Gitarrenkoffer mit seiner gefütterten Innenseite und den vielen kleinen Fächern. Ich liebte die Marken, Gibson, Fender, Hagström, Rickenbacker, Marshall, Music Man, Vox, Roland. Mit Jan Vidar ging ich in Musikgeschäfte, in denen ich mit Kennermiene die Gitarren musterte. Für meine eigene, eine billige Stratocaster-Kopie, die ich mir zur Konfirmation gekauft hatte, hatte ich in einem von Jan Vidars Versandkatalogen neue Tonabnehmer, mit Sicherheit state of the art, und ein neues Pickguard bestellt. Das alles war gut. Um das Gitarrenspiel selbst stand es schlechter. Obwohl ich seit anderthalb Jahren regelmäßig und ausdauernd spielte, machte ich nur wenig Fortschritte. Ich beherrschte alle Griffe und hatte endlos diverse Tonleitern geübt, schaffte es aber nie, mich von ihnen freizumachen, schaffte es nie, zu spielen , es gab keine Verbindung zwischen meinen Gedanken und meinen Fingern, die Finger hatten irgendwie keine Beziehung zu mir, sondern nur zu ihren Tonleitern, auf denen sie auf und ab liefen, und was daraufhin aus dem Verstärker kam, hatte nichts mit Musik zu tun. Manchmal verwandte ich ein oder zwei Tage darauf, Ton für Ton ein Solo zu kopieren, und daraufhin konnte ich es spielen, aber nicht mehr, über diesen Punkt kam ich nie hinaus. Jan Vidar erging es auch nicht besser. Aber er war noch ehrgeiziger als ich, er übte wirklich viel, tat

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