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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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phasenweise nichts anderes, als Gitarre zu spielen, aber auch aus seinem Verstärker kamen nur Tonleitern und Kopien der Solos anderer. Er feilte seine Fingernägel, um besser spielen zu können, er ließ den Nagel seines rechten Daumens wachsen, damit er ihn als Plektrum benutzten konnte, er kaufte sich eine Art Trainingsinstrument für seine Finger, auf dem er ständig herumdrückte, um sie zu stärken, er baute seine Gitarre komplett um, und mit Hilfe seines Vaters, der Elektroingenieur auf dem Flughafen Kjevik war, experimentierte er mit einer Art selbst gebautem Gitarrensynthesizer. Ich nahm meine Gitarre oft mit zu ihm, hielt den Gitarrenkoffer schlenkernd in der einen Hand, während ich mit der anderen das Fahrrad lenkte, und obwohl das, was wir in seinem Zimmer spielten, nicht wirklich toll klang, war es doch eine gute Sache, denn ich fühlte mich zumindest wie ein Musiker, wenn ich den Gitarrenkoffer trug, denn das sah doch richtig gut aus, und wenn wir noch nicht dorthin gekommen waren, wo wir hinwollten, so war doch vorstellbar, dass sich dies ändern würde. Die Zukunft kannten wir nicht; wie lange wir üben mussten, bis der Knoten platzen würde, konnte keiner von uns wissen. Einen Monat? Ein halbes Jahr? Ein Jahr? Bis es so weit war, saßen wir zusammen und spielten. Eine Art Band stellten wir auch auf die Beine; ein gewisser Jan Henrik in der siebten Klasse konnte ein wenig Gitarre spielen, und obwohl er Seglerschuhe und schicke Klamotten trug und Haargel benutzte, fragten wir ihn, ob er bei uns Bass spielen wolle. Er war einverstanden, und ich, der schlechteste Gitarrist, musste anfangen, Schlagzeug zu spielen. In dem Sommer vor Beginn der neunten Klasse fuhr Jan Vidars Vater uns nach Evje, wo wir ein billiges Schlagzeug abholten, für das wir zusammengelegt hatten, und dann legten wir los. Wir sprachen mit dem Rektor unserer Schule, durften einen Raum benutzen, bauten einmal in der Woche Trommeln und Verstärker auf und spielten.
    Als ich im Jahr zuvor nach Tveit gezogen war, hörte ich Bands wie The Clash, The Police, The Specials, Teardrop Explodes, The Cure, Joy Division, New Order, Echo and the Bunnymen, The Chameleons, Simple Minds, Ultravox, The Aller Værste, Talking Heads, The B52’s, PiL, David Bowie, The Psychedelic Furs, Iggy Pop, Velvet Underground, allesamt präsentiert von Yngve, der nicht nur sein gesamtes Geld für Musik ausgab, sondern auch mit seinem ganz eigenen Klang und unverwechselbaren Stil Gitarre spielte und eigene Lieder schrieb. In Tveit gab es niemanden, der von diesen Bands auch nur gehört hatte. Jan Vidar hörte beispielsweise Gruppen wie Deep Purple, Rainbow, Gillan, Whitesnake, Black Sabbath, Ozzy Osbourne, Def Leppard, Judas Priest. Diese Welten zu vereinen war unmöglich, da unser Interesse für Musik jedoch unser gemeinsames Interesse war, musste einer von uns nachgeben.
    Das übernahm ich. Platten dieser Bands kaufte ich zwar nie, aber ich hörte sie bei Jan Vidar und beschäftigte mich mit ihnen, während ich meine eigenen, die damals extrem wichtig für mich waren, nur hörte, wenn ich allein war. Dann gab es noch einige wenige Kompromissgruppen, die wir beide schätzten, in erster Linie Led Zeppelin, aber auch die Dire Straits, in seinem Fall wegen des Gitarrenspiels. Am häufigsten diskutierten wir Feeling im Gegensatz zu Technik. Jan Vidar kaufte beispielsweise Platten der Band Lava, weil die Musiker so gut waren, und lehnte auch TOTO nicht ab, die damals ihre beiden Hits hatten, während ich diese Form von Geschicklichkeit von ganzem Herzen verachtete, weil sie allem widersprach, was ich durch die Lektüre der Musikzeitschriften meines Bruders gelernt hatte, in denen Virtuosität der Feind war und das selbst Fabrizierte, Energische und Kraftvolle zum Ideal erklärt wurde. Aber egal, wie viel wir darüber sprachen, und egal, wie viele Stunden wir in Musikgeschäften und mit Versandhauskatalogen verbrachten, die Band bekamen wir nicht ins Rollen, wir waren und blieben schlechte Instrumentalisten und waren zudem nicht so schlau, dies etwa dadurch zu kompensieren, dass wir eigene Stücke schrieben, oh nein, wir spielten die am häufigsten gecoverten und stillosesten Songs von allen, Smoke on the Water von Deep Purple, Paranoid von Black Sabbath, Black Magic Woman von Santana sowie So Lonely von The Police, das zu unserem Repertoire gehören durfte, weil Yngve mir die Akkorde beigebracht hatte.
    Wir waren vollkommen unfähig, ein hoffnungsloser Fall, es gab

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