Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
Vom Netzwerk:
Wetter herumläuft!«, sagte er.
    »Ja, brrr«, erwiderte ich.
    »Wo willst du denn hin?«
    »Ich gehe auf eine Fete.«
    »Steig ein, ich fahre dich«, sagte er.
    »Nein, nicht nötig«, meinte ich. »Es ist nicht mehr weit. Das geht schon.«
    »Nein, nein«, widersprach Gunnar. »Steig ein.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ihr seid spät dran«, sagte ich. »Es ist schon nach halb acht.«
    »Das macht doch nichts«, erklärte Gunnar. »Jetzt steig schon ein. Es ist doch Silvester. Ich will nicht, dass du dir hier einen abfrierst. Wir fahren dich. End of discussion.«
    Ich konnte nicht noch länger protestieren, ohne dass es verdächtig gewirkt hätte.
    »Okay«, sagte ich. »Das ist wirklich nett von dir.«
    Er schnaubte.
    »Du musst hinten einsteigen«, erwiderte er. »Und mir sagen, wohin ich dich fahren soll.«
    Ich öffnete die Tür und setzte mich auf die Rückbank. Es war warm und gemütlich in dem Wagen. Harald, ihr fast drei Jahre alter Sohn, saß in einem Kindersitz und beobachtete mich stumm.
    »Hallo, Harald«, sagte ich und lächelte ihn an.
    Tove, die auf dem Beifahrersitz saß, drehte sich zu mir um.
    »Hallo, Karl Ove«, sagte sie. »Schön, dich zu sehen.«
    »Hallo«, sagte ich. »Und frohe Weihnachten nachträglich.«
    »Dann wollen wir mal«, sagte Gunnar. »Ich nehme an, wir müssen in die andere Richtung?«
    Ich nickte.
    Wir fuhren bis zur Bushaltestelle, wendeten und fuhren wieder hoch. Als wir die Stelle passierten, an der die Tüten lagen, konnte ich einfach nicht anders, ich musste mich vorbeugen und nach ihnen sehen. Da lagen sie.
    »Wohin geht’s?«
    »Erst zu einem Freund in Solsletta. Dann wollen wir nach Søm, zu einer Fete.«
    »Wenn du willst, kann ich dich hinfahren«, meinte er.
    Tove sah ihn an.
    »Nein, das ist nicht nötig«, sagte ich. »Außerdem treffen wir uns an der Bushaltestelle noch mit ein paar anderen.«
    Gunnar war zehn Jahre jünger als mein Vater und arbeitete als Wirtschaftsprüfer in einer größeren Firma in der Stadt. Er war als einziger der Söhne in die Fußstapfen seines Vaters getreten; die beiden anderen waren Lehrer geworden. Vater an einem Gymnasium in Vennesla, Erling an einer Gesamtschule in Trondheim. Erling wurde von uns als Einziger mit dem Attribut »Onkel« belegt, er war entspannter und weniger auf Prestige bedacht als die beiden anderen. Wir sahen in unserer Kindheit nicht viel von den Brüdern meines Vaters, aber wir mochten sie, denn die beiden waren immer zu Scherzen aufgelegt, vor allem Erling, aber auch Gunnar, den Yngve und ich am liebsten hatten, vielleicht auch, weil der Altersunterschied zwischen uns relativ klein war. Er hatte lange Haare, spielte Gitarre und besaß, nicht zu vergessen, ein Boot mit einem 20-PS-Mercury-Motor bei seinem Sommerhaus in der Nähe von Mandal, wo er während unserer Kindheit im Sommer immer viel Zeit verbrachte. Die Freunde, über die er sprach, waren in meinem Bewusstsein von einem fast mystischen Schimmer umgeben, zum einen, weil mein Vater keine hatte, zum anderen, weil wir sie im Grunde nie sahen, es waren Leute, mit denen er sich nur auf seinem Boot traf, und ich stellte mir ihr Leben tagsüber als eine endlose Kreuzfahrt in Racerbooten zwischen Felseilanden und Inseln vor, lange blonde Haare flatternd im Wind, braungebrannte, lächelnde Gesichter, Kartenspiele und Gitarrenmusik an den Abenden und in den Nächten, wenn auch Frauen hinzugekommen waren.
    Mittlerweile hatte er jedoch geheiratet und war Vater geworden, und auch wenn er sein Boot noch hatte, war die Aura der Schärenromantik doch verschwunden. Genau wie die langen Haare. Tove, seine Frau, stammte aus einer Polizistenfamilie irgendwo im Trøndelag und arbeitete als Lehrerin an einer Grundschule.
    »Habt ihr schöne Weihnachten gehabt?«, sagte sie und drehte sich zu mir um.
    »Oh ja«, antwortete ich.
    »Ich hab gehört, Yngve ist zu Hause gewesen?«, sagte Gunnar.
    Ich nickte. Yngve war sein Liebling, bestimmt weil er das erste Enkelkind war und viel Zeit bei den Großeltern verbracht hatte, als Gunnar noch zu Hause wohnte. Aber wahrscheinlich auch, weil Yngve nicht so schwach gewesen war und nicht so schnell geflennt hatte, als wir Kinder waren. Mit Yngve hatte er viel Spaß gehabt. Wenn ich ihm begegnete, versuchte ich deshalb, dem entgegenzuwirken, amüsant zu sein, viele Witze zu reißen, um zu zeigen, dass ich ein ebenso heiteres Temperament besaß wie sie, genauso zu Späßen aufgelegt war, ein Sørländer war, so gut wie sie.
    »Er ist

Weitere Kostenlose Bücher