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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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stellte ich mich ans Fenster. Es war fünf nach sieben. Ich hätte schon längst unterwegs sein sollen, musste aber auf Gunnar warten, denn sonst lief ich Gefahr, ihm unterwegs zu begegnen. Mit zwei Tüten voller Bierflaschen in den Händen war diese Aussicht wenig verlockend.
    Abgesehen vom Wind und den Bäumen am Waldsaum, die am äußersten Rand des Lichts, das unser Haus aussandte, gerade noch erkennbar waren, rührte sich draußen nichts.
    Wenn sie in fünf Minuten nicht da waren, musste ich trotz allem los. Ich zog meine Jacke an, stand einen Augenblick am Fenster und mühte mich, ein mögliches Motorengeräusch zu hören, während ich zu der Stelle hinabspähte, an der sich das Licht der Autoscheinwerfer zuerst zeigen würde, ehe ich mich umdrehte, das Licht im Zimmer löschte und die Treppe hinunterging.
    Vater stand in der Küche und goss Wasser in einen großen Topf. Als ich herunterkam, sah er zu mir hinüber.
    »Du gehst?«, sagte er.
    Ich nickte.
    »Viel Spaß heute Abend«, sagte er.

Am Fuß des Hügels, wo Schnee und Wind die Spuren des Vormittags verwischt hatten, blieb ich sekundenlang regungslos stehen und lauschte. Als ich sicher war, dass sich kein Auto näherte, ging ich die Böschung hinauf und zwischen die Bäume. Die Tüten lagen noch dort, wo ich sie abgelegt hatte, und waren von einer dünnen Schneeschicht bedeckt, die von dem glatten Plastik rutschte, als ich sie aufhob. Mit einer in jeder Hand stapfte ich wieder nach unten, blieb hinter einem Baum stehen und lauschte. Als weiterhin nichts zu hören war, kletterte ich über den aufgepflügten Schnee und eilte im Laufschritt zur Kurve hinunter. Hier draußen wohnten nur wenige Menschen, und die Hauptstraße verlief am anderen Flussufer. Wenn ein Auto kam, war die Chance deshalb groß, dass es Gunnar war. Ich ging den Anstieg hinauf und durch die Kurve, an der Williams Familie wohnte. Ihr Haus lag ein Stück von der Straße entfernt am Wald, der direkt hinter ihm steil anstieg. Im Wohnzimmer flackerte das blaue Licht des Fernsehers. Das Haus stammte aus den Siebzigern, und das Grundstück, auf dem es stand, hatte man nicht weiter bearbeitet, Steine, Felsblöcke, eine kaputte Schaukel, ein Stapel Brennholz unter einer Plane, ein Autowrack, ein paar Autoreifen lagen herum. Ich begriff nicht, warum es bei ihnen so aussah. Wollten sie es sich nicht ein bisschen schön machen? Oder konnten sie nicht? Bedeutete es ihnen nichts? Oder fanden sie etwa, dass es schön bei ihnen war? Der Vater war freundlich und gutmütig, die Mutter immer wütend, die drei Kinder stets mit etwas bekleidet, das zu klein oder zu groß war.
    Auf dem Weg zur Schule hatte ich eines Morgens Vater und Tochter die Geröllhalde auf der anderen Straßenseite heraufklettern sehen, beide bluteten an der Stirn, und das Mädchen hatte ein blutdurchtränktes Taschentuch um den Kopf gebunden. Ich weiß noch, wie ich dachte, dass sie etwas von Tieren hatten, denn sie sagten nichts, riefen nicht, kletterten nur relativ ruhig die Geröllhalde hinauf. An deren Fuß stand ihr Lastwagen, der mit dem Kühler gegen einen Baum geprallt war. Unterhalb der Bäume floss glänzend und dunkel der Fluss. Ich hatte gefragt, ob ich ihnen helfen könne, und der Vater hatte geantwortet, das sei nicht nötig, das werde schon wieder, das hatte er auf der Straßenböschung stehend gesagt, und obwohl der Anblick so überraschend war, dass ich mich kaum von ihm losreißen konnte, kam es mir andererseits unmoralisch vor, einfach stehen zu bleiben, so dass ich zur Bushaltestelle weiterging. Als ich mich das eine Mal umdrehte, das ich mir selber zugebilligt hatte, humpelten sie über die Straße, er wie immer in einem Overall und den Arm um den schmächtigen elfjährigen Mädchenkörper gelegt.
    Wir zogen sie und William oft auf, es war leicht, die beiden auf die Palme zu bringen, und leicht, sie verstummen zu lassen, Worte und Begriffe waren nicht ihre Stärke, aber dass ihnen die Sticheleien etwas ausmachten, erkannte ich erst, als ich an einem normalen, langweiligen Sommertag zusammen mit Per klingelte, um William zu fragen, ob er Fußball mit uns spielen wollte, und die Mutter auf die Veranda herauskam und uns, vor allem mir, eine Standpauke hielt, weil ich wohl glaubte, besser zu sein als alle anderen, vielleicht vor allem als ihre Kinder. Ich antwortete ihr, und es zeigte sich, dass auch sie nicht sonderlich wortgewandt war, aber ihr Zorn ließ sich natürlich nicht in Schranken weisen, so dass mein

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