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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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ausstehen konnte, vermutlich, weil ich seinen Bruder in Beschlag nahm, der früher immer Zeit mit ihm verbracht hatte, mich plötzlich nachahmte.
    »Fod Siejja?«, sagte er. »Was ist denn ein Fod Siejja?«
    »Tom«, sagte Per vorwurfsvoll.
    »Ein Fod Siejja ist ein Auto«, erklärte ich. »Hast du noch nie davon gehört?«
    »Von einem Auto, das Fod heißt, habe ich noch nie gehört«, erwiderte er. »Und schon gar nicht von einem Siejja.«
    »Tom!«, sagte Per.
    »Ach so, du meinst Ford !«, sagte Tom.
    »Ja, natürlich«, erwiderte ich.
    »Warum sagst du es dann nicht?«, fragte er. »Forrrrrd! Sierrrra!«
    »Verzieh dich«, sagte Per. Als Tom keine Anstalten machte, sich von der Stelle zu rühren, schlug Per ihm mit der Faust gegen die Schulter.
    »Aua!«, sagte Tom. »Lass das!«
    »Raus hier, du Hosenscheißer!«, sagte Per und schlug nochmals zu.
    Tom verschwand, und wir redeten weiter, als wäre nichts passiert.
    Dass dies die einzige Situation war, in der einer der Jugendlichen meine Schwächen auszunutzen versuchte, war merkwürdig, wenn man bedenkt, wie oft ich sie von oben herab behandelte. Aber sie taten es nicht. Da oben war ich ein König. Der König der Kinder. Meine Macht war jedoch begrenzt. Wenn jemand auftauchte, der genauso alt war wie ich, oder jemand, der weiter unten im Tal wohnte, galt sie nicht mehr. Deshalb sehe ich mir meine Leute genau an, damals so gut wie heute.
    Ich stellte die Tüten kurz auf der Straße ab, öffnete die Jacke und zog den Schal hoch, schlang ihn mir ums Gesicht, griff erneut nach den Tüten und ging weiter. Der Wind pfiff mir um die Ohren, riss überall Schnee hoch, wirbelte ihn durch die Luft. Es waren vier Kilometer bis zu Jan Vidar, es galt also, Gas zu geben. Ich fiel in einen langsamen Laufschritt. Die Tüten hingen an meinen Armen wie zwei Gewichte. Am anderen Ende der Kurve tauchten entlang der Straße zwei Autoscheinwerfer auf. Die Lichtstrahlen durchschnitten den Wald. Es war, als würden die Bäume, einer nach dem anderen, auflodern. Ich blieb stehen, setzte ein Bein auf den Straßenrand und legte die Tüten vorsichtig in den Straßengraben neben mir. Anschließend ging ich weiter. Als das Auto an mir vorbeifuhr, drehte ich mich um. Auf dem Fahrersitz saß ein alter, mir gänzlich unbekannter Mann. Ich ging die zwanzig Meter zurück, holte die Tüten aus dem Graben, ging weiter, ließ die Kurve hinter mir, kam am Haus eines alten Mannes vorbei, der alleine lebte, gelangte auf die Ebene hinaus, wo ich die Lichter der Fabrik sehen konnte, ranzig in der verschneiten Dunkelheit, lief an dem kleinen verfallenen Hof vorbei, in dem an diesem Abend kein Licht brannte, und hatte fast das letzte Haus vor der Kreuzung zur Hauptstraße erreicht, als auf der Straße erneut ein Auto auftauchte. Ich machte es wie zuvor, legte die Tüten rasch in den Straßengraben und ging mit leeren Händen weiter. Auch diesmal war es nicht Gunnar. Als der Wagen vorbeigefahren war, lief ich zurück, holte die Flaschen und bewegte mich noch schneller; es war schon halb acht. Ich eilte bergab und hatte fast die Hauptstraße erreicht, als sich drei neue Autos näherten. Erneut legte ich die Tüten ab. Möge Gunnar diesmal dabei sein, dachte ich, denn sobald er vorbeigekommen wäre, musste ich nicht mehr bei jedem Auto Halt machen und das Bier verstecken. Zwei Wagen fuhren über die Brücke, der dritte bog ab und ließ mich hinter sich, aber es war wieder nicht Gunnar. Ich holte die Tüten und erreichte die Hauptstraße, folgte ihr an der Bushaltestelle, dem alten Kaufmannsladen, der Autowerkstatt, den alten Wohnhäusern vorbei, alles war in Licht getaucht, alles windgepeinigt, alles verwaist. Fast auf der Kuppe des langen, sanft ansteigenden Hügels sah ich die Scheinwerfer eines neuen Autos über den höchsten Punkt kommen. Hier gab es keinen Straßengraben, so dass ich die Tüten in den Schneewall legen, und da man sie sehen konnte, schleunigst ein paar Meter zwischen sie und mich bringen musste.
    Ich blickte in den Wagen, als er vorbeifuhr. Diesmal saß Gunnar darin. Er wandte sich mir im selben Moment zu, und als er mich erkannte, bremste er. Mit einem Schwanz aus aufwirbelndem Schnee hinter sich, rötlich im Schein der Bremslichter, wurde der Wagen hügelabwärts fahrend allmählich langsamer, und als er zwanzig Meter weiter unten endlich zum Stehen kam, setzte er augenblicklich zurück. Der Motor jaulte.
    Als er neben mir stand, öffnete er die Tür.
    »Du bist das, der hier bei diesem

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