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Sterben: Roman (German Edition)

Sterben: Roman (German Edition)

Titel: Sterben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Stadt, in der du gerade gewesen bist, beschrieben hat?«
    Was sollte das jetzt? Waren wir etwa in der Schule?
    »Ja«, sagte ich und sah zu Boden. Ich wollte das Wort nicht in den Mund nehmen, das gönnte ich ihm nicht.
    »Und wie heißt es?«, sagte er.
    Als ich den Blick hob und seinem begegnete, geschah es ebenso trotzig wie verlegen.
    »Das Gesetz von Jante«, sagte ich.
    »Stimmt genau!«, bestätigte er.
    »Hat es euch da gefallen?«, erkundigte sich Vater.
    »Oh ja«, sagte ich. »Schöne Plätze, schöne Stadt.«
    Nykøbing: Ich war zu der Schule gegangen, in der wir einquartiert waren, nachdem ich den ganzen Abend und die Nacht mit einem Mädchen unterwegs gewesen war, das ich getroffen hatte, sie war verrückt nach mir gewesen, und die vier anderen aus meiner Mannschaft, die mit von der Partie gewesen waren, hatten schon früher den Heimweg angetreten, nur sie und ich waren zurückgeblieben, und als ich betrunkener als sonst zurückging, war ich in der Stadt vor einem Haus stehen geblieben. Alle Details waren fort, ich erinnerte mich nicht, sie verlassen zu haben, erinnerte mich nicht, wie ich dorthin gekommen war, aber vor dieser Tür stehend, hatte ich das Gefühl, wieder zu mir zu kommen. Ich nehme die glühende Kippe aus dem Mund, öffne den Briefschlitz und lasse sie auf den Boden des Flurs dahinter fallen. Dann verschwimmt wieder alles, aber irgendwie muss ich zur Schule gelangt und ins Bett gegangen sein, um drei Stunden später zum Frühstück und anschließenden Training geweckt zu werden. Die Zigarette, die ich in das Haus geworfen hatte, fiel mir plötzlich wieder ein, als wir unter einem der riesigen Laubbäume am Rande des Trainingsgeländes saßen und uns unterhielten. Mir wurde eiskalt. Ich stand auf, schoss einen Ball weg und lief ihm hinterher. Und wenn das Haus nun in Brand geraten war? Und bei dem Feuer Menschen umgekommen waren? Was machte das dann aus mir?
    Es war mir gelungen, die Sache ein paar Tage zu verdrängen, aber jetzt, als ich an dieser langen Tafel im Garten saß, wallte die Angst von Neuem in mir auf.
    »In welcher Mannschaft spielst du, Karl Ove?«, fragte einer der anderen.
    »Tveit«, antwortete ich.
    »In welcher Liga spielt der Verein?«
    »Ich spiele in der A-Jugend«, erklärte ich. »Aber die Erste Mannschaft spielt in der fünften Liga.«
    »Also nicht gerade die Mannschaft von Start«, meinte er. Seinem Dialekt hörte man an, dass er aus Vennesla stammte, so dass es für mich ein Leichtes war zu kontern.
    »Nein, eher Vindbjart«, erwiderte ich.
    Darüber lachten sie. Ich schaute nach unten und hatte das Gefühl, schon zu viel Aufmerksamkeit erregt zu haben. Als mein Blick unmittelbar darauf jedoch Vater streifte, sah er mich lächelnd an.
    In der Tat, seine Augen leuchteten.
    »Möchtest du vielleicht ein Bier, Karl Ove?«, sagte er.
    Ich nickte.
    »Warum nicht«, meinte ich.
    Er blickte in die Runde.
    »Die scheinen alle leer zu sein«, sagte er. »Aber in der Küche steht ein Kasten. Du kannst dir ja eins holen.«
    Ich stand auf. Als ich auf die Tür zuging, traten zwei Personen in den Garten. Ein Mann und eine Frau, eng umschlungen. Sie trug ein weißes Sommerkleid. Ihre nackten Arme und Beine waren braun. Sie hatte schwere Brüste, Bauch und Hüften waren üppig. Er, mit einem hellblauen Hemd und einer weißen Hose bekleidet, hatte einen Schmerbauch, war ansonsten jedoch schlank. Obwohl er lächelte und seine betrunkenen Augen umherglitten, stach mir ins Auge, wie erstarrt seine Gesichtszüge waren. Es gab keine Bewegungen mehr in ihnen, geblieben waren nur deren Spuren wie in einem ausgetrockneten Flussbett.
    »Hallo!«, sagte sie. »Bist du der Sohn des Hauses?«
    »Ja«, antwortete ich. »Hallo.«
    »Ich bin eine Kollegin deines Vaters«, erläuterte sie.
    »Angenehm«, sagte ich und musste glücklicherweise nicht mehr sagen, denn sie gingen schon weiter. Als ich in den Flur trat, öffnete sich die Tür zum Badezimmer. Eine kleine, rundliche, dunkelhaarige Frau mit Brille kam heraus. Ihr Blick streifte mich flüchtig, ehe sie zu Boden sah und an mir vorbei nach drinnen ging. Ich sog diskret den Geruch ihres Parfüms ein, bevor ich ihr folgte. Es roch frisch, erinnerte an Blumen. In der Küche, die ich in der nächsten Sekunde betrat, saßen die drei, die ich schon bei meiner Ankunft durchs Fenster gesehen hatte. Der Mann, auch er um die vierzig, flüsterte der Frau zu seiner Rechten etwas ins Ohr. Sie lächelte, aber es war ein höfliches Lächeln. Die

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