Sterben: Roman (German Edition)
Strom der Menschen mit ihren mehr oder weniger schönen Gesichtern, deren Augen alle einen bestimmten Gemütszustand ausdrückten, durch mich hindurch, wenn ich sie sah. An weniger guten Tagen hatte das gleiche Szenario die umgekehrte Wirkung, und ich entschied mich wenn möglich für eine andere, abgelegenere Route. Meistens führte sie über die Rådmansgatan, danach die Holländargatan bis zur Tegnérgatan hinunter, wo ich den Sveavägen überquerte und der Döbelnsgatan bis zur Johanneskirche hinauf folgte. Diese Strecke wurde von Wohnhäusern gesäumt, die meisten Menschen, denen man begegnete, hasteten allein durch die Straßen, und die wenigen Geschäfte und Restaurants wurden seltener frequentiert. Fahrschulen, deren Fenster von Abgasen verschleiert wurden, Trödelläden mit Comics und LPs in Kartons vor der Eingangstür, Reinigungen, ein Friseursalon, ein Chinarestaurant, ein paar heruntergekommene Kneipen.
Dieser Tag war ein solcher Tag. Um den heranwehenden Schneekörnchen zu entgehen, ging ich mit gesenktem Kopf durch die Straßen, die zwischen den hochragenden Wänden und schneebedeckten Dächern der Häuserblocks schmalen Tälern ähnelten, und warf gelegentlich einen Blick in die Fenster, an denen ich vorbeikam: die verwaiste Rezeption eines kleinen Hotels, die gelben Fische, die dort vor grünem Hintergrund in einem Aquarium umherschwammen; die Werbeplakate einer Firma, die Schilder, Broschüren, Aufkleber, Papptafeln herstellte; die drei farbigen Friseusen, die ihren drei farbigen Kunden in dem afrikanischen Friseursalon die Haare schnitten, von denen eine den Kopf ein wenig drehte, um zwei Jugendliche anzusehen, die auf der Treppe am hinteren Ende des Raums saßen und lachten, die Friseuse, die ihren Kopf nicht ohne Ungeduld wieder gerade rückte.
Auf der anderen Straßenseite lag ein Park namens Observatorielunden. Die Bäume wuchsen dort gerade nach oben, und da sich das schwache Licht der Häuserreihe unter ihnen ausbreitete, hatte es den Anschein, als hielten sie die Dunkelheit mit ihren Kronen hoch. So kompakt war sie, dass das Licht des eigentlichen Observatoriums auf der Kuppe, errichtet im 18. Jahrhundert, in der absoluten Blütezeit der Stadt, unsichtbar blieb. Heute gab es dort oben ein Café, und als ich es zum ersten Mal besuchte, war mir bewusst geworden, wie viel näher das 18. Jahrhundert hier unserer Zeit zu sein schien im Vergleich zum 18. Jahrhundert in Norwegen, vielleicht vor allem auf dem Land, wo ein Bauernhof von, sagen wir 1720, wirklich uralt ist, während die zahlreichen prunkvollen Bauten in Stockholm aus derselben Epoche fast zeitgenössisch wirken. Ich erinnere mich, dass Großmutters Schwester Borghild, die in einem kleinen Haus oberhalb des eigentlichen Hofs wohnte, von dem die Familie stammte, mir einmal auf der Veranda erzählte, dass es dort bis in die sechziger Jahre hinein Häuser aus dem 16. Jahrhundert gegeben hatte, die man dann jedoch abgerissen hatte, um Platz für moderne Gebäude zu schaffen. Wie sensationell diese Information war, verglichen damit, wie alltäglich es hier war, auf ein Bauwerk aus jener Zeit zu stoßen. Hing es vielleicht mit der Nähe zur Familie und damit zu mir zusammen? Mit der Tatsache, dass mich die Vergangenheit in Jølster in einem ganz anderen Maße betraf als die Vergangenheit in Stockholm? Wahrscheinlich verhält es sich so, dachte ich nun und schloss für Sekunden die Augen, um mich von dem Gefühl freizumachen, ein Idiot zu sein, was dieser Gedankengang in mir auslöste, weil er so offensichtlich auf einer Illusion basierte. Ich hatte keine Geschichte und verschaffte mir deshalb eine, ungefähr so, wie es eine nationalsozialistische Partei in einer Trabantenstadt tun würde.
Ich ging weiter die Straße hinunter, bog ab und gelangte in die Holländargatan. Angesichts der beiden leblosen Reihen verschneiter Autos und ihrer Verwaistheit, eingeklemmt zwischen zwei der wichtigsten Straßen der Stadt, Sveavägen und Drottninggatan, war sie die Seitenstraße der Seitenstraßen. Ich nahm die Tasche jetzt in die linke Hand, während ich mit den Fingern der rechten an meine Kapuze griff und den Schnee herunterschüttelte, der sich auf sie gelegt hatte, wobei ich mich ein wenig vorbeugte, um mir nicht den Kopf an dem Baugerüst zu stoßen, das man auf dem Bürgersteig errichtet hatte. Hoch über mir schlugen klatschend Planen im Wind. Als ich aus der kleinen tunnelartigen Konstruktion herauskam, stellte sich mir ein Mann so in den Weg,
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