Sterben Sie blo nicht im Sommer
und das in ausnahmslos allen Medien – ob seriös oder nicht – immer und immer wieder weitererzählt wird? Es geht um Geld. Im Gesundheitswesen geht es um viel Geld, um sehr viel Geld. Etwa 170 Milliarden hat die GKV zu verteilen, insgesamt sind es sogar über 250 Milliarden Euro. Der gesamte Bundeshaushalt betrug – zum Vergleich – im Jahr 2010 knapp 320 Milliarden Euro. 10 Prozent der Arbeitsplätze in unserem Land sind im Gesundheitswesen angesiedelt. Ich behaupte ganz einfach: Wer immer weiter von einer Kostenexplosion fabuliert, der will das solidarische System der gesetzlichen Krankenversicherung zerstören, um einen ungehinderten Zugriff auf diese 250 Milliarden zu bekommen.
Mir ist es in letzter Zeit häufiger passiert, dass ich bei Fachärzten deutlich später einen Termin bekam als eine Freundin, die Privatpatientin ist. Spricht man Ärzte im Bekanntenkreis darauf an, sagen die, dass sie ja auch sehen müssten, wo sie bleiben. Ist das tatsächlich Notwehr oder Elend auf hohem Niveau?
Ich weiß nicht, wen ich mehr bedauern soll, Sie oder Ihre Freundin. Tatsächlich glaube ich, dass unser System noch immer so gut funktioniert, dass ein Patient in einer Notlage nicht auf ärztliche Behandlung warten muss und dabei Schaden nimmt, egal wie er versichert ist. Wenn es sich allerdings um nicht akute Erkrankungen handelt, ist es sicher nachweisbar, dass Privatpatienten schneller einen Termin bekommen. Ist das wirklich so schlimm? Die Privatpatienten büßen dafür nämlich mit einer wesentlich höheren Zahl von überflüssigen Untersuchungen, von überflüssigem Einsatz teurer Apparate und von überflüssigen Operationen – weil es so lukrativ ist. In gewissem Sinn ist der Status des gesetzlich Versicherten auch ein Schutz.
Angenommen, Sie hätten die Chance, das Gesundheitssystem radikal zu ändern, welche Veränderungen hielten Sie für die wichtigsten?
Echte Reformen würde ich anstreben. Die erste und wichtigste Veränderung wäre die obligate gesetzliche Krankenversicherung für alle. Die absurde Besonderheit und weltweit deutsche Einmaligkeit der Privaten Krankenversicherung für Gutverdienende entzieht dem Solidarsystem gerade die hohen Beiträge. Wer mehr will (was medizinisch gesehen aber eigentlich niemand braucht), wer auf goldene Wasserhähne und täglich zweimal Chefarztlächeln nicht verzichten möchte, der kann sich ja dann entsprechend zusatzversichern. Dabei würde ich nebenbei auch das skandalöse Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge sofort rückgängig machen. Zweitens würde ich dafür sorgen, dass das reichlich vorhandene Geld für Medizin ausgegeben wird, nicht für Medizinschmarotzer. Eine Positivliste würde zum Beispiel dem Spuk der Pharmalobby rasch ein Ende bereiten. Drittens würde ich die Ausbildung der Ärzte und Pflegekräfte weiter verbessern, würde dem naturwissenschaftlichen Physikum in der Ausbildung ein geisteswissenschaftliches Philosophikum hinzufügen, und allen Ärzten und Pflegekräften Arbeitsbedingungen schaffen, die ihnen Zeit geben, ihre Arbeit zu tun, statt in Dokumentation, Bürokratie und Akquise zu ersticken.
Was raten Sie Patienten im Umgang mit Ärzten? Ärzten im Umgang mit Patienten?
Da gibt es keinen allgemeinen Rat. Es gibt Patienten, für die bin ich der richtige Arzt. Das merken im Allgemeinen beide Seiten sofort. Es gibt Patienten, die sind sehr unzufrieden mit mir. Das merke ich dann hoffentlich und rate ihnen, sich einen anderen Arzt zu suchen. Es gibt nicht den einen guten Arzt für alle. Die Arzt-Patient-Beziehung ist immer wieder etwas Individuelles, Einmaliges. Da kann man keine allgemeinen Ratschläge geben. Was beim einen Patienten gut ist, ist beim anderen falsch. Für den einen Patienten bin ich ein guter Arzt, für einen anderen nicht. Wenn ich überhaupt einen Rat geben darf, Ärzten und Patienten: authentisch sein!
Sie engagieren sich sehr für eine Medizin, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Verzweifeln Sie nicht manchmal, weil die Entwicklungen derzeit in die entgegengesetzte Richtung gehen? Oder gibt es noch weitere Hoffnungsschimmer?
Ich sehe ebenfalls, dass nahezu alle Entwicklungen in eine Richtung gehen, die eine humane Medizin immer mehr unmöglich macht. Noch ist mir das aber ein Ansporn, verzweifelt bin ich nicht, höchstens angewidert. Dazu habe ich täglich zu viel Kontakt mit Patienten und ihren Angehörigen und kann immer wieder sehen, wie wichtig eine gute ärztliche Arbeit ist, wenn die Krise einer
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