Sterben War Gestern
Wetherspoons, erster Stock, Victoria Station. Stick gegen Geld.“
Kurzes Schweigen, dann sagte die Stimme am anderen Ende knapp: „Wir schicken jemanden.“
Damit war das Gespräch beendet.
Sergej war nicht neugierig. Er würde seine Beute in keinen Computer schieben, um zu sehen, wofür sein Opfer hatte sterben müssen. Es gab immer einen Grund zu töten. Und er wollte ihn nie wissen.
Die Gänge des Rostocker Klinikums schienen kein Ende zu nehmen. Der Mensch trug einen weißen Kittel und sein sicherer, sanfter Gang auf dem hellen Linoleum verriet, dass er sich hier nicht zum ersten Mal aufhielt. Für einen kurzen Moment wurde er melancholisch, erinnerte sich an seine Facharztausbildung und die Träume, die er gehabt hatte. Die Dinge waren anders gekommen. Der Wunsch nach einer Familie und Kindern hatte sich nicht erfüllt, der Reichtum aber war zum Greifen nah. Gut Ding will Weile haben, hatte sein Mentor an der Universität immer gesagt und wie oft waren es die Geduld und seine Beharrlichkeit gewesen, die ihn weitergebracht hatten. Auch jetzt würde er nicht aufgeben. Schon gar nicht so kurz vor dem Ziel.
Die Studien waren fast abgeschlossen, alle Tests waren ausgewertet, und die Ergebnisse konnten sich sehen lassen. Seine Auftraggeber waren zufrieden mit ihm und würden ihm dafür, da war der Mensch ganz sicher, einen Platz in einer der oberen Etagen anbieten. Die Dinge an entscheidender Stelle mitentwickeln, das war es, was er wollte: Macht und Einfluss. Mit einem Chauffeur zur Arbeit fahren, fürstlich wohnen und in guter Gesellschaft sein. Die Menschen um ihn herum von ausgesuchter Höflichkeit und guter Erziehung. Klavierabende, vielleicht Kammermusik im kleinen Kreis. Und endlich gepflegte Unterhaltungen. Sydney, Buenos Aires oder doch New York?
Das Krankenzimmer zu betreten war einfacher, als der Mensch es sich vorgestellt hatte. Der uniformierte Beamte auf dem Stuhl davor akzeptierte ohne Nachfragen seinen längst abgelaufenen Klinikausweis und ließ ihn auf einer Liste unterschreiben. Niemand hielt ihn davon ab, die Tür zu öffnen und das Privatzimmer zu betreten. Ellen Weyer war überhaupt kein Typ für die erste Klasse, das hatte der Mensch schon bei ihrer ersten Begegnung gedacht. Sie verdankte es einzig und allein ihrem Vater, dass sie sich privat versichern konnte. Eine unterdurchschnittliche Klatschpresseschreiberin, die sich maßlos überschätzte. Das hatte sie nun davon. Man musste im Leben eben ein bisschen mehr aufbringen als nur den Mut, sich in Gefahr zu begeben.
Die Patientin, so dachte der Mensch ironisch, ist ganz offenbar wieder über den Berg. Dann ging er um das Bett herum, griff in die rechte Tasche seines Kittels und zog eine Spritze heraus.
Ich hätte dich gleich töten sollen.
Der Mensch, der bereits bei zwei Menschen keine Gnade hatte walten lassen, zog die Spritze mit der Flüssigkeit auf, die er aus der linken Tasche geholt hatte, und setzte zu seinem dritten Mord an.
„Lassen Sie das.“ Inge Nowak trat langsam hinter der Tür des Badezimmers hervor. „Nehmen Sie lieber die Hände hoch.“
Der Mensch fuhr erschrocken herum und begriff sofort, dass er in die Falle gegangen war. In Sekundenschnelle erfasste er die Situation, sah seine eben noch wunderbar anmutende Zukunft in einem fernen Land schwinden und sich in einem deutschen Gefängnis. Kleine graue Zelle. Für den Rest seines Lebens.
Vor zwei Tagen war die Frau noch seine Patientin gewesen, nun richtete sie eine Pistole auf ihn. Wie rasch sich die Verhältnisse ändern konnten, dachte er und reagierte ebenso schnell. Unvermittelt warf er ihr die Spritze entgegen, nutzte den Moment der Irritation, stieg auf den Hocker, der vor dem schnell geöffneten Fenster stand, und kletterte von dort auf die Fensterbank.
„Nicht!“, rief Inge Nowak, ging vorsichtig in die Knie und legte langsam ihre Waffe auf den Boden.
Einen Augenblick zögerte der Mensch und musterte die Kommissarin, wie sie nun mit erhobenen Händen vor ihm stand. Ein wenig verstört, so als verstünde er die Geste nicht. Vielleicht mit einer vagen Hoffnung, diesen letzten Schritt nicht gehen zu müssen. Doch dann erinnerte er sich, dass er nur eine einzige Wahl hatte: die zwischen Pest und Cholera.
Der Mensch sprang nicht. Er ließ sich einfach aus dem dritten Stock fallen.
„Scheiße“, murmelte Inge Nowak, rief ihren Kollegen vor der Tür und nach einem Notarzt. Dann wählte sie die Nummer von Sylvia Eberstätter.
Sie waren nicht lange
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