Sterbendes Land Utopia
unverständlich waren. Es hieß, daß er ein merkwürdiger und launischer Mann sei.«
»Das klingt interessant. Wo lebte der Mann – wußten das die Weisen?«
»Nein. An einem Ort mit schwarzen Felsblöcken und Silberfedern. Es donnerte dort gewaltig, und der Nebel hob sich nie. Mehr wußten sie nicht.«
Der bunte Vorhang bewegte sich, und eine schlanke, weiße Hand kam zum Vorschein. Waley erhob sich.
»Wußten sie nicht den Namen des Mannes, Drubal?«
»Namen sind kostbar, Jack. Jeder ist ein Kristall aus Licht und Bedeutung, ein Geburtsrecht für jeden Mann, jede Frau und jedes …« Er unterbrach sich und blieb einen Augenblick steif sitzen. Aber Jack bemerkte die Müdigkeit und den Lebenshunger. »Kümmere dich nicht um unsere Sorgen, denn sie sind immer um uns und lassen sich nicht vertreiben. Nein, Jack, dieser Mann hatte keinen bestimmten Namen …« Er zögerte.
»Ja?«
Drubal wich vom Thema ab. »Es tut mir leid, daß ich dich gestern so grob niederstieß. Aber du warst drauf und dran, meinen Namen vor den Grünen, den Flüsternden Zauberern, auszusprechen. Und wenn auch Drubal nur ein Deckname ist, der meinen Geburtsnamen schützen soll, so haben die Zauberer doch Macht über mich, wenn sie ihn kennen.«
»Vergiß doch die Sache von gestern. Du wolltest mir etwas von dem Mann im Silberturm erzählen. Ich bin es gewöhnt, daß man mich niederschlägt.«
Mimi hatte den Vorhang zurückgezogen, blieb aber unsichtbar im Schatten.
»Die Weisen nannten ihn den Wächter, ein Name, der in aller Munde war. Doch es schien nicht sein eigener zu sein. Wer er war, und was er bewachte, konnte niemand sagen.«
»Vielleicht bewachte er Pe’Ichen?«
Drubal lachte ein herzhaftes, schallendes Lachen. »Bring deinen Unsinn woanders an, Junge. Sterbliche sollen Pe’Ichen bewachen! Hat Pe’Ichen das nötig?«
Jack Waley schüttelte den Kopf und zog sich zur Tür zurück. Er zwang sich, nicht in die dunkle Nische zu sehen, in der sich Mimi jetzt sicher kämmte. Er trat hinaus in den Sonnenschein. Mimi hatte heute lange geschlafen, und Drubal schien es nichts auszumachen. Waley wollte in den Wald, aber Drubal war so langsam, daß er immer wieder aufgehalten wurde. Nun zählte Drubal seine Pfeile.
»Könntest du mich jetzt entschuldigen, Drubal? Ich habe einiges zu erledigen.«
Er schlenderte davon, nicht zu schnell, aber doch zügig, damit er den Wald erreichte, bevor Mimi ihn sah.
Er konnte ihr heute morgen nicht ins Gesicht sehen, ohne mit sich ins reine gekommen zu sein.
Den Abend zuvor hatte er so zitternd nach ihr verlangt, daß er sich selbst auslachte. Er, Jack Waley, der Draufgänger, betete eine Dorfschöne wie ein Primaner an. Aber sie war nicht zu ihm gekommen. Er war steif und mit schwerem Kopf aufgewacht, obwohl er nichts getrunken hatte.
Jetzt schlenderte er in den Wald und versuchte seine Gedanken zu ordnen.
Er fand eine Lichtung mit glänzenden Blättern und Zweigen, die ihn wie ein Zaun umgaben.
Glücklicher Jack Waley!
Mit einem billigen Scheinbild und einem kurzen Spruch konnte er Reichtümer hervorzaubern, Gold aus Blei, Wertvolles aus Wertlosem. Durch ein paar Worte konnte er seine Kindheitsträume erfüllen und sich selbst ein Paradies schaffen.
Oh, glücklicher, glücklicher Jack Waley!
Steine, Stöckchen, Blätter, Zweige, Staub – alles sammelte er um sich. Seine Finger zitterten vor Eifer. In jedem bescheidenen Ding sah er durch rosa Wölkchen den Prunkgegenstand, den er schaffen wollte.
Der runde Kiesel da – natürlich, der gab eine herrliche Radium-Armbanduhr ab, von der man die Zeiten und Daten von fünfzig Planeten zugleich ablesen konnte, dazu die Gezeiten und Windrichtungen. Und der Zweig hier – eine Brillantbrosche! Brillanten? Vielleicht auch Bellachrontis oder einer der vielen hundert verschiedenen Edelsteine. Und dann – Manschettenknöpfe gefällig, mein Herr? Aber bitte – zwei Erdkrümel und ein Stückchen Gras. Juwelen für die Dame meines Herzens – Strumpfbänder, Ohrgehänge, Ringe, Ketten, Kronen. Wie herrlich mußte Mimi mit einem Krönchen aussehen, das in ihrem rabenschwarzen Haar schimmerte! Ein Wagen? Vier Felsblöcke und ein gefällter Baumstamm. Ganz einfach. Kleider? Alle Blätter des Waldes seufzten und raschelten in Erwartung seiner Befehle. Prunkvolle Kleider für einen Mann von Rang!
Glücklicher, unaussprechlich glücklicher Jack Waley!
Er saß mit feuchten Augen da und starrte schwärmerisch auf seine Stöcke und Steine, auf seine
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