Sterbensangst (German Edition)
Frau in seinen Armen, sein Kind, das zu seinen Füßen spielt. Er atmet tief und langsam, kostet den Moment bis zur Neige aus. Und dann spürt er den Geruch. Dieses scharfe Aroma. Schwach. Beinahe nicht wahrnehmbar zwischen den weihnachtlichen Gewürzen und dem sauberen Duft seiner Familie, seines Heims. Es ist wie eine Motte, die ganz am Rand des Gesichtsfelds herumflattert. Dieser schwache Hauch. Nach Blut. Einen Moment lang tauchen Bilder von Daphne Cotton vor ihm auf. Er versucht sich vorzustellen, was ihr Vater durchmacht. Öffnet ihm sein Herz. Möchte eine Verbindung herstellen und Trost spenden.
Er zieht Roisin wieder in seine Arme.
Hasst sich selbst für die Wärme, die sich in ihm ausbreitet: dafür, dass er so verdammt glücklich ist, während ein unschuldiges Mädchen tot auf einem Seziertisch liegt.
Kapitel 6
8:04 Uhr vormittags. Ropers altes Büro in Queen’s Gardens.
Ein Gewimmel von Cops.
Halb auf den Tischen sitzend; die Füße auf Drehstühle gelegt, mit dem Rücken an nackte Wände gelehnt. Heraushängende Hemden und Supermarktkrawatten, zwei zum Preis von einer. Keiner raucht, aber der Raum riecht nach Nikotin und Bier.
McAvoy sitzt aufrecht in der Mitte auf einem Stuhl mit harter Lehne, den Laptop auf dem Schoß. Seine Krawatte liegt um einen Hals, den er mit kräftigen Händen unnachgiebig rosa und wund geschrubbt hat.
Er versucht, die Füße auf dem fadenscheinigen Teppichboden stillzuhalten. Hört einem Dutzend Gesprächen gleichzeitig zu und findet keines, an dem er sich beteiligen möchte.
Sechs Stunden Schlaf und ein gutes Frühstück, das er kaum hinunterbekam.
Es liegt ihm immer noch schwer im Magen. Eine Last auf seiner Brust; jeder pfeifende Atemzug klingt nach Rührei und Vollkornbrot. Zu seinen Füßen steht eine Plastiktüte mit einer Thermoskanne heißen Wassers und einem Beutel Pfefferminztee, aber er hat Angst, sie aufzuschrauben, in dieser beengten, betriebsamen Atmosphäre. Er möchte nicht, dass das Aroma sich verbreitet. Kommentare könnte er jetzt nicht ertragen. Würde es nicht aushalten, aufzufallen. Nicht hier. Nicht jetzt.
Er sieht auf die Uhr. Zu spät, denkt er.
»Alsdann, Jungs und Mädels!« Pharaoh kommt hereingerauscht und klatscht in die Hände. »Ich bin seit fünf Uhr auf, hatte kein gottverdammtes Frühstück, und gleich muss ich zu einer Pressekonferenz mit einer Bande von Wichsern, die wissen wollen, wie wir es zulassen konnten, dass ein junges Mädchen an Weihnachten ermordet wird. Ich würde ihnen gerne sagen können, dass es sich bei dem Täter um einen Irren handelt und wir ihn erwischt haben. Aber leider ist dem nicht so. Wir wissen nicht einmal, ob er ein Irrer ist.«
»Na ja, Ma’am, als Babysitter würde ich ihn jedenfalls nicht einstellen.« Das kommt von Ben Nielsen und wird mit Gelächter und beifälligem Nicken quittiert.
»Ich auch nicht, aber er wäre mir allemal noch lieber als Sie. Wie Sie wissen, habe ich eine Tochter im Teenageralter.«
Pfiffe und Gelächter. Jemand drückt dem grinsenden Ben Nielsen einen Styroporbecher in die Hand.
»Was ich meine«, fährt Pharaoh fort und streicht sich die Haare aus dem Gesicht, »ist, dass wir nicht wissen, ob es eine Zufallstat war. Der Täter könnte jemand mit einem Hass auf die Kirche oder den Klerus sein. Wir wissen nicht, ob Daphne Cotton gezielt als Opfer ausgewählt wurde. Warum hat der Mörder eine Balaklava getragen? Warum verkleidet er sich? Und die Waffe. Was hat die Machete zu bedeuten?«
»Müssen wir ein Verbrechen aus Rassenhass in Betracht ziehen?« Das kommt von Helen Tremberg und wird begleitet von kollektivem Aufstöhnen.
»Wir dürfen nichts außer Acht lassen, meine Liebe. Dem Fall den Stempel Rassenhass aufzudrücken wäre sicher verfrüht. Aber da die Ermordete ein schwarzes Mädchen war, können wir es auch nicht ausschließen.«
»Ach du heilige Scheiße.«
Colin Ray spricht aus, was sie alle denken. Sie wissen, was das heißt. Verbrechen aus Rassenhass sind das beste Rezept für Schlagzeilen und Kopfschmerzen. Man muss mit Samthandschuhen arbeiten und mit Protestdemos leben; nicht nur die Öffentlichkeit und alle möglichen Interessengruppen machen Druck auf sie hinsichtlich einer schnellen Aufklärung, sondern auch die Lamettaträger ganz oben. Nach zehn Jahren negativer Berichterstattung, seit ein schwarzer Gefangener in seiner Zelle starb, reagieren die Bosse sehr dünnhäutig. Bei der damaligen Untersuchung kamen Videoaufnahmen ans Licht, die vier
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