Sterbensangst (German Edition)
stoppe.«
McAvoy nickt, dankbar, dass die Sache sich gut entwickelt.
Während sie in den dunkler werdenden Abend und den wirbelnden Schnee hinaustreten, bemerkt McAvoy, dass sein Begleiter auf dem rechten Bein hinkt. Erinnert sich, was Caroline ihm gesagt hat. Senkt den Blick. Chandler dreht sich zu dem größeren Mann um. »Amputiert«, sagt er einfach. »Das ist der Preis, wenn man Ziggies liebt und von Speck lebt. Trage ein Holzbein unter der Hose. Kann ich nur jedem Mitglied der Weight Watchers empfehlen. Man nimmt einfach den Unterschenkel ab, und schon hat man ein paar Kilo weniger.«
McAvoy schwankt, ob er ihm auf die Schulter klopfen oder ein aufmunterndes Lächeln schenken soll, also übergeht er es einfach. »Fred Stein«, meint er, während sie einem gepflegten Kiesweg folgen, der zu einer Reihe immergrüner Bäume führt. »Sie haben gehört, was passiert ist?«
»Allerdings«, sagt der andere mit einem Seufzer, der sich zum Hustenanfall entwickelt. Trocken. Ungesund. »Armer Hund.«
»Caroline Wills hat mir gesagt, dass Sie derjenige waren, der ihn zum Reden gebracht hat. Der ihn aufspürte und den Vertrag aushandelte.«
»So ähnlich.«
»Hatten Sie den Eindruck, dass er selbstmordgefährdet war?«
Chandler bleibt stehen. Sie haben sich inzwischen ein paar hundert Meter vom Gebäude entfernt. Er sieht sich um, vergewissert sich, dass sie niemand beobachtet, dann zieht er sein Hosenbein hoch. Er packt das künstliche Glied am Knie und nimmt das Bein mit einem Ruck direkt unter dem Gelenk ab.
Abwesend greift er hinein und zieht Zigaretten und ein Feuerzeug hervor. Er zündet sich eine an und saugt den Rauch tief in die Lungen. Es scheint eine beinahe religiöse Erfahrung zu sein. Ohne ein weiteres Wort bückt er sich und befestigt das Bein wieder. Er blickt mit einem Lächeln auf, das spitzbübisch sein soll, aber in seinem ausgemergelten Gesicht nur seltsam grausig wirkt.
»Wird wohl nicht gern gesehen?«, fragt McAvoy und muss wider Willen lächeln.
»Man muss eine Erklärung unterschreiben«, sagt Chandler verächtlich. »Keine Kippen. Keine Schokolade. Kein verdammter Zucker. Gehört zum Programm. Man kann anscheinend nicht entgiften, solange man sich immer weiter Toxine zuführt.«
»Wäre es dann nicht vielleicht besser, wenn Sie aufhörten?«
»Zweifellos, Sergeant. Sie haben recht. Aber so ist das eben mit Süchten. Ziemlich schwer abzulegen.«
»Aber das kostet hier so viel Geld, da wäre es doch sicher einen Versuch wert …«
»Ich tue mein Bestes«, sagt Chandler, während er den Blick abwendet und eine Lunge voll Rauch ausstößt. »Ich war schon drei Mal in solchen Kliniken. Ich verlasse sie immer voller Hoffnung, aber innerhalb von vierundzwanzig Stunden sitze ich in einer Kneipe und schütte Whisky in mich hinein. Ich weiß, dass es so kommt, noch bevor ich zur Tür hinaus bin. Es ist die Endgültigkeit, die ich nicht packe. Der Gedanke, nie wieder eine Kippe zu rauchen. Nie wieder ein Glas Alkohol zu trinken. Wo soll da der Sinn liegen?«
»In Ihrer Gesundheit vielleicht …«
»Und für wen soll ich gesund bleiben? Ich stehe ganz allein da, mein Freund. Keine Kinder. Kein Frauchen. Keine Fans, die mich anbeten und unbedingt mit mir ins Bett hüpfen wollen. Ich muss sogar dafür bezahlen, meine eigenen verdammten Arbeiten zu veröffentlichen.« Das Letzte sagt er ausgesprochen giftig, und McAvoy sieht, wie seine Lippen sich um die Zigarette spannen.
McAvoy geht im Geiste die wenigen Fakten durch, die er im Internet über diesen Mann recherchieren konnte. Er ist der Verfasser verschiedener Features auf Spartenwebsites und in der nationalen Presse. Doch der Großteil der Google-Treffer entfiel auf einen in Surrey ansässigen Verlag. Russ Chandler hat dort mehrere Bücher in Eigenregie herausgebracht. In manchen davon ging es um die große Zeit der Hochseefischerei, in anderen um Lokalgeschichte. Dann gab es noch ein paar Bände über ungelöste Verbrechen in verschiedenen Städten des Nordens. Dem Autorenprofil zufolge war Russell Chandler 1966 in Chester geboren und hatte eine Zeitlang in der Armee gedient, bevor er Schriftsteller wurde. Er hatte als Versicherungsvertreter gearbeitet und als Büroleiter für eine Transportfirma. Er hatte in Oxford, East Yorkshire und London gelebt und sich jetzt in East Anglia niedergelassen. Sein letztes Buch war vor vier Jahren erschienen, eine Biographie von drei Bomberpiloten der Royal Air Force, die im Zweiten Weltkrieg am Angriff
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