Sterbensangst (German Edition)
Abgeschirmt von Wind und Scharfschützenaugen. »Dann hat er wohl bekommen, was er verdient hat«, meint er schließlich.
»Sir?« McAvoy versucht, nicht zu drängen. Gelassen zu sprechen.
»Jefferson hat das Feuer selbst gelegt. Seine ganze Familie ausgelöscht. Und er hat nicht einen Tag dafür im Gefängnis gesessen. Er kam als Einziger lebend aus dem brennenden Haus, und er war derjenige, der gezündelt hatte. Für mich klingt das so, als hätte da jemand für Gerechtigkeit gesorgt. Meiner Meinung nach sollten Sie dem Burschen gratulieren, bevor Sie ihm die Handschellen anlegen.«
Kapitel 14
Es ist erst zwei Stunden her, seit McAvoy und Tremberg mit Jack Raycroft gesprochen haben, aber schon kristallisiert sich ein ziemlich klares Bild des Mannes heraus, dessen Tod sie untersuchen. Verantwortungslos, selbstsüchtig, ein Sozialbetrüger. Kein Boulevardblatt würde lange zögern, ihm den Stempel »böse« aufzudrücken. Aber Tremberg hat es am besten formuliert, als sie erklärte, dass »gemeiner Mistkerl« die geeignetste Bezeichnung für den Verblichenen wäre – und nicht einer der psychologischen Fachausdrücke, die McAvoy vorschlug, während er über den dürftigen Fakten brütete, die die Datenbank hergab.
Tremberg klickt mit der Maus, und der Bildschirm füllt sich mit Fotos von verkohlten Leichen. Die zwei Detectives schniefen und bekämpfen den Wunsch, wegzusehen. Es handelt sich unverkennbar um die geschwärzten Leichen der von den Flammen verzehrten Kinder.
Ein donnerndes Rülpsen ertönt hinter ihnen, und sie fahren herum. Sergeant Linus klemmt in der Tür, die feisten, fleischigen Hände um einen Becher gelegt. Seine Körperfülle verdunkelt den Raum, während er ausgiebig gähnt und einen Schluck von seinem Getränk nimmt. Ein angenehmer, würziger Geruch steigt von dem Gebräu auf, und nach ein paar Sekunden begreift McAvoy, dass der massige, uniformierte Beamte Fleischbrühe trinkt.
»Üble Sache damals«, sagt Linus, schlürft noch einmal von seinem Becher und wischt sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Das Schlimmste, was ich je gesehen habe. Da drinnen sah es aus wie in Pompeji, nachdem sich der Rauch verzogen hatte. Man konnte noch den Ausdruck auf dem Gesicht des jüngsten Kindes erkennen. Ich wünschte, der Kleine hätte so ausgesehen, als schliefe er. Aber so war es nicht. Er sah aus, als hätte er höllische Qualen gelitten.«
»Das muss schlimm gewesen sein«, sagt Tremberg.
»Kann man wohl sagen.«
Tremberg macht eine Geste zu dem Büro hin, mit seinen feuchten Wänden, veralteten Fahndungsplakaten und dem fadenscheinigen Teppichboden. »Ich vermute, dass Sie die Kripo nicht vermissen. Gemütlich hier.«
Linus bemerkt den Sarkasmus nicht und nickt. »Zwanzig Jahre reichen völlig, meine Liebe.«
»Haben Sie ein paar Augenblicke, um uns zu helfen?«, fragt McAvoy. Er lässt es so klingen, als käme die gesamte Ermittlung ins Stocken, wenn Linus nicht ein paar Augenblicke seiner wertvollen Zeit opfert. »Wir brauchen einen Überblick.«
»Wie ich schon am Telefon sagte, jederzeit.«
McAvoy hatte von Anfang an den Eindruck, dass die Ermittlungen in dem ursprünglichen Brandfall ziemlich planlos verlaufen waren. Und es fällt ihm schwer, den unfähigen, trägen Mistkerl, der vor ihm steht, nicht dafür verantwortlich zu machen. Das Gefühl, dass die verkohlten Leichen der toten Kinder ihn aus dem Computerbildschirm heraus anstarren, quält ihn.
»Tja, es war gleich klar, dass der Vater den Finger am Abzug gehabt haben musste, sozusagen. Der Typ hatte keinen Kratzer. Ich hatte Lust, ihm selber ein paar zu verpassen.«
McAvoy ruckt mit dem Daumen über die Schulter in Richtung Bildschirm. »Im Bericht der Spurensicherung steht, dass ein Brandbeschleuniger verwendet wurde. Feuerzeugbenzin. Vieles deutet darauf hin, dass gestern Nacht im Hull Royal derselbe Modus Operandi benutzt wurde. Und ebenso eine Nacht zuvor bei dem Wohnhausbrand im Orchard Park. Meinen Sie, Jefferson könnte vielleicht doch unschuldig gewesen sein? Wäre es möglich, dass derjenige, der seine Frau und Kinder tötete, zurückgekommen ist, um seine Arbeit zu beenden?«
Linus tut so, als würde er darüber nachdenken. »Schon möglich, mein Freund. Aber wie gesagt, ich bin verflucht sicher, dass Jefferson das Feuer gelegt hat. Ich vermute eher, jemand kam zu dem Schluss, dass Auge um Auge die einzige Art von Gerechtigkeit ist, die er verdient hatte.«
Stille senkt sich über den Raum. McAvoy nickt
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