Sterbensangst (German Edition)
Zeit in Pubs zu verbringen, also in der Umgebung, die sie beinahe das Leben gekostet hätte. Aber Nabelschau ist nichts für sie. Sie hat herausgefunden, was in ihr steckt, als der Mann mit dem Messer sie zu bearbeiten begann. Und sie hat nichts erblickt, das sie jemals wiedersehen möchte.
»Du siehst aber selber auch fesch aus, Bob«, sagt sie und legt ihre Hand auf seine. »Schön, dass du da bist. Die letzte Stunde war ich ganz allein mit den alten Knackern.«
Bob schenkt ihr ein Lächeln. »Ich treffe mich noch mit Ken im Bear, falls du dich uns anschließen möchtest. Schwer in Ordnung, der gute Ken.«
Sie wirft ihm ihr ›Vielleicht‹-Lächeln zu, wird aber wohl lieber passen. Es besteht zwar die Chance, dass Bob und Ken darum wetteifern, wer der größere Kavalier ist, wenn es darum geht, ihr Glas zu füllen. Aber wahrscheinlich haben die alten Knaben, die ihr sonst regelmäßig im Bear die Drinks ausgeben, etwas dagegen, wenn sie mit den Jungs aufkreuzt, die sonst im Wilson’s trinken. Und dann würden sie beim nächsten Mal zugeknöpfter reagieren, wenn sie ihnen die Hand auf den Oberschenkel legt und ihnen erzählt, wie gut sie aussehen.
Wieder klappt die Tür, und Angie sieht sich um. Sie und Bob sind die letzten Gäste. Sie hat gar nichts davon mitbekommen, dass die alten Knacker sich verabschiedet haben. Ihr Verstand ist an den Rändern bereits so benebelt, dass sie nicht einmal mehr beschwören könnte, wie viele Gäste überhaupt da waren. Sie erinnert sich an einen großen, Zeitung lesenden jungen Mann, und an den alten Arthur mit seiner dicken Brille und den Polyesterhosen, aber war das heute oder gestern? Bevor sie sich fragen kann, ob das vielleicht wichtig ist, hat sie es bereits wieder vergessen.
»Hast du das mit John gehört? So ein blöder Hund.«
»Nein, mein Lieber. Erzähl. Ich liebe Geschichten.«
Sie hört zu, während Bob berichtet, was John am Samstag im Red Lion alles angestellt hat. Sie muss nicht einmal besonders auffällig ihr Glas austrinken, um sich ein neues zu verdienen. Als auch dieses halb leer ist, spürt sie das Bedürfnis nach einer Zigarette, aber sie glaubt, dass sie sich noch beherrschen kann. Im nächsten Pub auf ihrem Zug durch die Gemeinde wird sie direkt in den Biergarten hinausgehen und eine große Show daraus machen, in ihrer Handtasche nach Zigaretten zu kramen, bis einer der Raucher sich erbarmt und ihr eine Kippe anbietet.
Dann kann sie ihre eigenen für heute Abend aufsparen und sie vor dem Fernseher rauchen, während sie Wodka aus dem Supermarkt trinkt und in den Werbepausen frivole Nachrichten an den Eigentümer des White Heart textet. Der steht anscheinend keine Spätschicht durch, ohne ihr die Ohren vollzujammern, weil er und seine Angetraute nur noch wegen der Kinder zusammen sind, und dass eigentlich eine Frau wie sie sein Bett teilen sollte, ein echtes Vollblutweib eben.
Sie hat keine Ahnung, was er an ihr findet. Was irgendeiner von denen an ihr findet. Sie ist dreiundvierzig und kein Pin-up-Girl mehr, obwohl sie ihre lila Leggings, den Jeansrock und den weiten Pulli vom Schlussverkauf mit einer gewissen Laszivität trägt, und sie mit dem rotem Lippenstift, den dunklen Haaren und den Klimperohrringen seltsam anziehend wirkt. Sie fasst sich gut an. Ist freundlich und flirtet gerne. Sie gilt als gute Zuhörerin, obwohl sie selten etwas anderes sagt als »Da hättest du aber Besseres verdient« oder »Sie hat doch keinen blassen Schimmer«, wenn sich die Unterhaltung den Mängeln der besseren Hälften ihrer Kavaliere zuwendet.
Das war natürlich nicht immer so gewesen. Angela Martindale hatte einmal als Schoßkind des Glücks gegolten. Alle sagten das. Die Ärzte. Die Polizei. Die Presse auch, obwohl ihr Name nie genannt wurde. Sie war die Einzige, die davongekommen war. Die Überlebende. Die, die er nicht hatte töten können. Ihr Alkoholismus ist noch nicht so weit fortgeschritten, dass sie diese Geschichte für einen Drink erzählen würde. Aber manchmal, wenn ihr Glas leer ist und niemand sie beachtet, dann ist ihr danach, einen der Zeitungsausschnitte aufzufalten, die sie in der Handtasche mit sich herumträgt, und den Säufern von Grimsby zu erzählen, dass sie vor eineinhalb Jahrzehnten in einem Pub genau wie diesem vergewaltigt und misshandelt wurde. Von einem Mann, den der Richter später als »Inbegriff des Bösen« bezeichnete, und dessen tote blaue Augen immer noch jede Nacht durch ihre Träume spuken, wenn sie ohne genügend
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