Sterbensangst (German Edition)
geblähten Nüstern zum Angriff über.
»Sie hat also nur ihren Laufburschen geschickt?«
Die Frage ist an Spink gerichtet, aber McAvoy weiß genau, was Ray meint. Später wird er sich sagen, dass es doch gar nicht so schlecht ist, wenn er plötzlich als Pharaohs Liebling gilt, während sie vor einer Woche noch nicht einmal seinen Namen buchstabieren konnte. Jetzt brennen allerdings seine Wangen.
»Es ist auch mein Fall«, meint McAvoy und fragt sich noch während er es ausspricht, wo er die Worte hergenommen hat.
Die beiden diensthöheren Beamten wechseln einen Blick.
»Na, dann kommen Sie ja gerade rechtzeitig, um seinen Abschluss mitzuerleben«, sagt Ray mit einem Nicken zum Verhörraum hin. »Wir haben alles beisammen.«
»Er hat gestanden?« Spink klingt ungläubig,
»Im Moment macht er noch auf Kein Kommentar «, mischt Archer sich ein. »Aber er wird langsam mürbe.«
McAvoy mustert die beiden. Colin wirkt müde und angeschlagen, doch die Landkarte aus geplatzten Blutgefäßen auf seinen Wangen und die Ader, die an seiner Schläfe pulsiert, deuten darauf hin, dass er noch genügend Feuer hat, um die Sache durchzuziehen.
»Ihr könnt doch nicht ernsthaft darauf hoffen, ihn anzuklagen …«
»Doch, das kann ich verdammt noch mal«, schnappt Ray mit einem Blick auf den geschlossenen Ordner, als läge ein Schatz darin verborgen.
McAvoy ist nicht zu bremsen. »Was haben Sie denn Neues herausgefunden?«
Shaz Archer sieht plötzlich aus wie eine Katze, die sich nach einem langen Nickerchen genüsslich streckt und putzt. »Wir haben seinen ehemaligen Agenten aus dem Bett geklingelt«, grinst sie. »Interessanter Mann.«
»Und?« Tom Spinks Stimme klingt gebieterisch. Der DCI in ihm hat vorübergehend vergessen, dass er pensioniert ist.
»Und er sagt, dass unser Russ Chandler, oder wie immer er sich gerne nennt, ein Fall für die Klapse ist.«
Sie nimmt Ray den Ordner aus der Hand und hält ihn McAvoy hin wie einem Hund einen Kauknochen.
»Lesen Sie«, flüstert sie.
Während McAvoy den Ordner aufschlägt, hört er die Tür des Verhörraums zuklappen. Als er aufblickt, steht nur noch Shaz Archer vor ihm. Ray ist wieder hineingegangen, um es zu Ende zu bringen.
»Eigentlich ganz einfach, wenn man alle Puzzleteilchen kennt«, sagt Archer. »Unser Knabe hat sein ganzes Loser-Leben mit dem Versuch zugebracht, Schriftsteller zu werden. Träumte schon als Kind davon. War nur nie gut genug. Seine frühen Arbeiten wurden ungeöffnet zurückgeschickt. Ein bisschen mehr Interesse erntete er, als er mit investigativem Journalismus anfing, allerdings kam er nie richtig in die Gänge. Musste schließlich im Selbstverlag veröffentlichen. Ein einziges Buch war halbwegs lesbar, daraufhin fand er einen Agenten, aber trotzdem hatte er keinen Erfolg. Zum Schluss drehte er einfach durch. Konnte die Ablehnungen nicht mehr ertragen. Hielt es nicht mehr aus, über Leute zu schreiben, die er für Niemande hielt, während er selbst unbekannt blieb. Das hier ist seine Rache. Psychologisch passt alles zusammen. Ein Seelenklempner wird es bestätigen. Col kennt da jemanden …«
McAvoy hat die ganze Zeit versucht, nicht mit dem Wort »Blödsinn« herauszuplatzen, aber es ist ein Kampf, den er nicht gewinnen konnte.
»Das sind alles nur Vermutungen, nicht wahr, DI Archer?«, sagt Spink, um sie abzulenken, bevor sie den jüngeren Beamten anfahren kann.
»Da drin stehen seine Phantasien«, sagt sie und tippt auf den Ordner. »Wir haben Daphne Cottons Namen in seinem Notizbuch. Wir haben Angie Martindale. Seine Verbindung zu Fred Stein. Trevor Jefferson. Er ist das gemeinsame Bindeglied.«
»Aber das bedeutet nicht …«
»Lesen Sie den Brief, den er dem Verleger geschrieben hat, der ihn ablehnte.«
Etwas in ihrem Ton lässt McAvoy verstummen. Er schlägt die fotokopierten Seiten des Ordners auf. Entdeckt die mit Filzstift rot umringelte Seite mit handschriftlichen Notizen. Sieht den Namen »Daphne C«. Eine Telefonnummer. Ganze Romane in Steno. Er blättert weiter.
»Genau da«, nickt Archer ihm zu.
Lieber Mr Hall,
mein Agent Richard Sarge hat mich gerade von Ihrer Entscheidung informiert, die Veröffentlichung meines Romans Mit Mann und Maus nicht weiterzuverfolgen. Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, empfinde ich diese Mitteilung als sehr bedrückend. Ich habe mein Herzblut in diese Arbeit investiert, und wie die Verkaufszahlen meiner früheren, wenn auch selbst herausgegebenen Werke zeigen, gibt es einen Markt
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