Sterbensangst (German Edition)
für meine Arbeiten. Ich muss Sie bitten, Ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken. In unserer vorangegangenen Korrespondenz habe ich in glühenden Farben von der Hochachtung gesprochen, die ich für Ihr Verlagshaus hege, und ich empfinde großes persönliches Interesse sowohl an Ihrer Firma als auch an Ihren Angestellten. Ich weiß zum Beispiel, dass Ihre Privatadresse Lowndes Square in Knightsbridge lautet. Der Name Ihrer Frau ist Tamara. Ihr Sohn William besucht ein Internat namens Rowan Prep School in Esher. Ich teile Ihnen das nicht mit, um Sie zu beunruhigen oder Ihnen für den Fall zu drohen, dass Sie sich nicht zu einem Vertrag zwischen uns durchringen können, sondern um die Sorgfalt und Gründlichkeit meiner mühevollen Recherchen zu unterstreichen. Tatsächlich bin ich bereit, beinahe alles zu tun, um meinen Traum zu verwirklichen. Wie bereits erwähnt, ist mein Verständnis für die Psyche des Verbrechers unübertroffen, und meine vielen Interviews mit verurteilten Mördern haben mir einen unvergleichlichen Einblick in ihren verwirrten Verstand gegeben. Ich erwarte gespannt Ihre Erwiderung …
McAvoy schließt ganze vier oder fünf Sekunden lang die Augen. Stellt sich vor, wie dieser Brief vor Gericht verlesen wird. Sieht Chandlers Verteidiger vor sich, wie er ihm rät, auf schuldig zu plädieren und das Angebot der Staatsanwaltschaft auf Strafminderung anzunehmen. Malt sich Rays breites Grinsen aus, während seine Kumpel ihm auf den Rücken klopfen.
»Klappe zu, Affe tot«, sagt Archer, und ausnahmsweise klingen ihre Worte nicht wie ein Schlag unter die Gürtellinie. Sie stellt nüchtern eine Tatsache fest.
»Und wie ging es weiter?«, fragt McAvoy mit einer Stimme, die kaum mehr als ein heiseres Krächzen ist.
»Der Verleger drohte, zur Polizei zu gehen, und der Agent ließ Chandler fallen«, erwidert Archer, während sie den Ordner wieder an sich nimmt und unter den Arm klemmt. »Der Agent erhielt auch jede Menge E-Mails von Chandler. Alle in ähnlichem Ton. Absolut besessen. Der Agent sagte, er sei nie zuvor jemandem begegnet, der so versessen darauf gewesen sei, seinen Namen auf einem Buchdeckel gedruckt zu sehen. Jemandem, der dafür töten würde.«
McAvoy runzelt die Stirn. Es ergibt keinen Sinn. Er hat nichts in Chandlers Augen gelesen, das irgendetwas davon bestätigen würde.
»Seine Augen«, erinnert er sich plötzlich. »Der Mann, mit dem ich gekämpft habe, hatte blaue Augen. Chandler nicht.«
»Herrgott noch mal, McAvoy«, giftet Archer. »Vielleicht hat er Kontaktlinsen getragen. Das ist Kleinkram. Wir haben ein paar Morde, und wir haben einen Typen, dem so sicher wie das Amen in der Kirche das Wort ›Mörder‹ auf die Stirn geschrieben steht.«
»Aber wenn er es nicht war …«
»Dann wird er nicht gestehen, oder?«
McAvoy greift in seinen Mantel und zieht die Seiten heraus, die er aus dem Internet ausgedruckt hat, gleich, nachdem er Spinks Nachricht erhielt. »Sehen Sie sich das an«, bittet er fast flehend. »Das Leben von Menschen steht auf dem Spiel. Lesen Sie. Diese Frau zum Beispiel. Eine freiwillige Helferin, die im Irak mit einem Bus in die Luft gesprengt wurde. Sie hat überlebt, aber als Einzige. Wir dürfen keinen Fehler machen. Das nächste Opfer könnte auf dieser Liste stehen …«
McAvoy wendet sich zu Spink, doch der ältere Mann dreht ihm den Rücken zu und starrt den Gang entlang, als würde er es nicht über sich bringen, McAvoy in die Augen zu sehen.
Die Tür zum Verhörraum geht auf, und Colin Ray steckt den Kopf heraus. Sein Gesicht ist schweißüberströmt. Der Kragen seines Pullovers ist verdreht. Er sieht McAvoy höchstens einen Herzschlag lang an, dann gleitet sein Blick zu Archer.
»Komm rein, Shaz«, sagt er ruhig. »Unser Holzbein möchte gestehen.«
Sie nimmt McAvoy die ausgedruckten Seiten aus der widerstandslosen Hand und geht ins Vernehmungszimmer.
Kapitel 20
8:43 Uhr vormittags. Queen’s Gardens. Zehn Tage vor Weihnachten. Eine versunkene Parklandschaft unter einer Decke von unberührtem Schnee, durchzogen von versteckten Pfaden und durchsetzt mit toten Rosenbüschen und Blumenrabatten voller Abfälle.
Eine Fußspur, tief in den Schnee gestanzt.
Eine Bank, deren Rückenlehne fehlt.
Aector McAvoy. Ellbogen auf die Knie gestützt. Den Hut tief in die Stirn gezogen. Die Augen geschlossen.
Er zieht sein Telefon aus der Tasche. Achtzehn Anrufe in Abwesenheit.
Er versteckt sich. Ist hinausgestampft in Schnee und Einsamkeit. Es
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