Sterbensangst (German Edition)
Uhr blitzt auf. Er schiebt den Unterkiefer wie zur Begrüßung vor. »McAvoy?«
»Detective Sergeant Aector McAvoy. Humberside Police, Dezernat für Kapitalverbrechen und organisierte Kriminalität. Lieutenant Colonel Montague Emms, nehme ich an?«
Der andere Mann grinst. »Nicht mehr«, sagt er. »Jedenfalls nicht der Rang. Montague Emms bin ich immer noch, aber das kann ich nicht leiden, also nennen Sie mich einfach Sparky. Das tut jeder. Sogar der junge Armstrong dahinten.«
Emms reicht ihm die Hand. McAvoy spürt raue, schwielige Finger. Lässt seinen Daumen unmerklich über den Handrücken gleiten und fühlt Fingerknöchel, die gebrochen und unfachmännisch gerichtet worden sind.
Emms weist auf das Haus. »Wollen wir?«
Die Frau im Eingang zieht sich nach innen zurück, während sie näher kommen. Emms macht plötzlich ein ziemliches Getue, als hätte er etwas Offensichtliches übersehen, und wendet sich zu dem Soldaten um. »Holen Sie Ihre Sachen aus dem Wagen, mein Sohn. Die Jungs werden Sie gleich abholen und Ihnen zeigen, wo’s hingeht. Der Weg da links führt zu einer Scheune und zu den Ställen, falls Sie sich warm halten wollen.«
Er dreht sich wieder zu McAvoy um, noch bevor Armstrong zu einem schnellen Salutieren kommt.
»Ein neuer Rekrut?«, fragt McAvoy, während sie eintreten.
»Möglicherweise«, erwidert Emms, der aus der Nähe betrachtet größer ist, als McAvoy gedacht hat. Er hält sich sehr gerade und geht mit festem, zuversichtlichem Schritt.
»Hübsch hier«, sagt McAvoy im Plauderton. Ein paar Schritte vor ihnen öffnet die Frau eine hölzerne Tür in einer eichengetäfelten Wand. Sie lächelt ihnen zu, stößt die Tür so weit wie möglich auf und tritt dann beiseite.
»Am besten, wir gehen in mein Arbeitszimmer«, sagt Emms munter. »Das ist übrigens meine Frau. Ellen. Passt auf mich auf. Weiß nicht, was ich ohne sie anfangen sollte.«
»Ich hab auch so eine daheim«, rutscht es McAvoy unwillkürlich heraus.
»Eine gute Frau ist ihr Gewicht in Gold wert«, meint Emms, und sie wechseln einen verständnisvollen Blick, weil sie eine Erkenntnis teilen, die den meisten Männern versagt bleibt.
McAvoy beginnt, sich für den Mann zu erwärmen.
»Also gut, ich besorge uns eine Kanne Tee. Machen Sie es sich solange gemütlich. Ich bin im Handumdrehen zurück. Tee, ja? Sie kommen mir nicht vor wie ein Kaffeetrinker.«
»Ist das ein rassistisches Stereotyp, Sir?«, fragt McAvoy mit einem Anflug von Lächeln in der Stimme, um zu zeigen, dass er scherzt.
»Ha!«, keucht Emms glucksend und wirft den Kopf in den Nacken.
Er lacht immer noch, als er davongeht, links abdreht und eine Spur schlammiger Stiefelabdrücke auf dem Parkettboden hinter sich herzieht.
McAvoy muss den Kopf einziehen, als er durch die Tür des Arbeitszimmers tritt. Das Haus ist sicher mindestens drei Jahrhunderte alt, und er weiß aus Erfahrung, dass die Türen damals für einen kleineren Menschentypus gebaut wurden.
Es ist ein unauffälliges, rechteckiges Zimmer, mit großem Schiebefenster, das beinahe die gesamte gegenüberliegende Wand einnimmt. Zwei Computer und drei Telefone stehen auf einem antiken Schreibtisch, der mit allen möglichen Papieren und einer Art abenteuerlich zusammengefalteten architektonischen Blaupausen übersät ist.
Auf dem Tisch steht eine Tuschezeichnung in einem fein ziselierten Goldrahmen, die McAvoy mit zusammengekniffenen Augen begutachtet. Er fragt sich, was sie darstellt. Ein Gesicht oder eine abstrakte Form? Eine Landschaft? Auf den ersten Blick wirkt es wie ein wildes Gekritzel, aber bei genauerem Hinsehen bemerkt man, dass jede einzelne Linie sorgfältig überlegt ist. Es ist ein erstaunliches Werk von willkürlicher Schönheit, das McAvoy gerne besser verstehen würde.
Das Licht vom Fenster ist zu schwach, um den Raum richtig zu erhellen, deshalb legt McAvoy den altmodischen, metallenen Lichtschalter um. Eine Glühbirne erwacht flackernd zum Leben.
McAvoy steht vor einer ganzen Wand mit Fotografien. Die gesamte Fläche ist voller Korktafeln, auf denen Schnappschüsse von fröhlichen, grinsenden Männern in Kampfanzügen festgepinnt und -geklebt sind. McAvoy tritt näher. Es sind Hunderte von Männern zu sehen. Manche sitzen auf Panzern. Recken den Daumen nach oben, auf staubigen, sonnendurchglühten Landepisten. Sind überladen mit Rucksäcken und Waffen, Helmen und Funkgeräten. Lümmeln hinten in offenen Jeeps oder spielen mit bloßem Oberkörper und schweißüberströmt
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