Sterbensangst (German Edition)
lächelt.
Langsam dämmert es ihm.
Colin Rays Fall wartet nur noch darauf, dass McAvoy ihm den Todesstoß versetzt.
Er nimmt das Telefon wieder ans Ohr. Wählt das CID-Büro an der Priory Road, weil er genau weiß, dass niemand dort ist. Spricht eine Nachricht auf Band, dass Roisin im Krankenhaus ist. Dass er bis jetzt an ihrem Bett gewacht hat und sich deshalb nicht melden konnte. Und noch mindestens bis Weihnachten weg sein wird.
Leicht außer Atem hängt er auf.
Er verwischt seine Spuren. Niemand in der Priory Road wird auf die Idee kommen, Zeit und Datum der Nachricht abzugleichen. Sie wird einfach bei Gelegenheit weitergeleitet werden. Sollte es jemals zu einer Untersuchung kommen, ist er abgesichert.
Und er hat sich ein paar Tage verschafft, um herauszufinden, wer Daphne Cotton wirklich getötet hat.
Wieder hebt er das Telefon ans Ohr. Ruft eine Nummer an, die man ihm leise in die Mailbox geflüstert hat.
Beim dritten Läuten geht jemand ran.
»Bassenthwaite House.«
McAvoy fährt sich mit der Hand übers Gesicht und stellt überrascht fest, dass er schwitzt. Fragt sich, ob er nicht gegen Windmühlen kämpft. Ob diese Privatklinik am Rand des Penninischen Gebirges wirklich etwas mit der ganzen Geschichte zu tun haben kann. Ob Anne Montrose eine Rolle spielt. Ob sie das nächste Opfer sein könnte. Oder ob er einfach völlig schiefliegt und Russ Chandler tatsächlich der Mann ist, der hinter den Morden steckt.
»Hallo. Hier spricht Detective Sergeant Aector McAvoy …«
Ein fröhliches Hallo schallt ihm entgegen.
»Es geht um eine Privatpatientin von Ihnen. Eine gewisse Anne Montrose. Soweit ich weiß, liegt sie auf der neurologischen Station in Pflege?«
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
»Einen Augenblick, bitte.«
Er landet in der Warteschleife und verbringt gute fünf Minuten damit, sich ein klassisches Musikstück anzuhören, in dem er eines von Debussys eher getragenen Werken erkennen würde, wenn er sich die Mühe gäbe.
Plötzlich knurrt eine tiefe, männliche, gebildete Stimme ein kurzes »Hallo« ins Telefon. Der Mann stellt sich als Anthony Gardner vor. Als Berufsbezeichnung rasselt er etwas herunter, das man als ›Presseabteilung‹ interpretieren könnte.
»Mr Gardner, ja. Es geht um Anne Montrose. Ich habe Grund zu der Annahme, dass sie bei Ihnen Patientin ist.«
Nach einer winzigen Pause räuspert sich Gardner. »Sie wissen, dass ich Ihnen das nicht sagen darf, Detective.«
»Ich respektiere Ihre Vertraulichkeitspflicht gegenüber Ihren Patienten, Sir, aber es besteht die Möglichkeit, dass Miss Montrose sich in Lebensgefahr befindet. Es wäre uns eine große Hilfe in einer laufenden Mordermittlung, wenn ich mit einem Mitglied der Familie sprechen könnte.«
»Mord?« Gardner gerät etwas aus der Fassung. McAvoy verspürt eine seltsame Befriedigung, dass selbst in der heutigen Zeit das Wort ›Mord‹ noch nicht seine Fähigkeit zu schockieren verloren hat.
»Ja. Vielleicht haben Sie von dem Fall gehört. Vergangenen Samstag wurde in der Dreifaltigkeitskirche in Hull ein junges Mädchen ermordet. Derselbe Täter ist möglicherweise auch noch für mehrere andere Morde verantwortlich …«
»Aber ich habe gelesen, dass ein Verdächtiger festgenommen wurde«, wendet der Mann ein. McAvoy hört das verräterische Klappern einer Computertastatur. Er fragt sich, ob er sich gerade auf einer Nachrichtenseite einloggt.
»Wir müssen verschiedene Spuren überprüfen, Sir«, sagt McAvoy mit einer Stimme, in der er so viel düstere Vorahnung mitschwingen lässt wie möglich.
Gardner erwidert nichts, und McAvoy spielt seinen Trumpf aus.
»Vielleicht haben Sie auch gelesen, dass eines der Opfer bei lebendigem Leib in seinem Bett im Krankenhaus verbrannt wurde, Sir.«
Wieder nur Schweigen. McAvoy hofft, dass Gardner sich durch den Kopf gehen lässt, was es bedeuten könnte, wenn er mauert. Fragt sich, ob er gerade abwägt zwischen einem wütenden Anruf von Familienangehörigen, weil er Informationen über seine Patientin herausgegeben hat, ohne die offiziellen Kanäle einzuhalten, und der Riesenladung Scheiße, die sich über sein Haupt ergießen wird, wenn selbige Patientin in ihrem Bett eingeäschert wird.
Schließlich seufzt Gardner. »Würden Sie mir bitte Ihre Nummer geben, Detective? Ich rufe Sie gleich zurück.«
McAvoy erwägt, nein zu sagen. Zu protestieren, weil er ebenso gut in der Leitung bleiben kann, während Gardner tut, was er tun muss. Aber seine
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