Sterbenswort: Thriller (German Edition)
Eingeständnis seiner Schuld wäre auch nicht zu umgehen gewesen.
Also behielt er die Sache für sich.
Von Zeit zu Zeit las er die Mail erneut durch, als müsse er sich immer wieder vergewissern, dass sie tatsächlich existierte.
Sich das Gehirn über dem Rätsel zu zermartern führte zu keiner Lösung.
Auch nicht nach Ablauf einer Woche – als die dritte Mail eintraf.
Lieber Heinrich,
eine schöne Kanzlei hast du da am Tauentzien. Wie ich erfahren habe, bist du bald ganz alleine der Chef.
Und diese wundervolle Penthouse-Wohnung über den Dächern der Stadt. So eine habe ich mir selbst immer gewünscht.
Wie du weißt, hatte das Schicksal leider anderes mit mir vor.
Doch vielleicht wechselt das Schicksal demnächst die Seiten …
Was für eine hübsche Frau du dir geangelt hast, lieber Heinrich, so jung, so attraktiv.
Wäre schade, wenn du sie verlieren würdest …
Ich denke oft an dich und deine junge Frau!
Erik
Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, griff Heinrich zum Hörer und tippte aufs Sternchen und die ›1‹.
Drei endlose Male klingelte es, dann meldete sich seine Frau.
»Nina Denk.«
»Gott sei Dank.«
»Heinrich? Was ist denn los?«
»Ach, nichts.«
»Wieso rufst du denn an?«
Heinrich suchte fieberhaft nach einer Erklärung.
»Eine Akte«, sagte er schließlich. »Ich habe sie vergessen. Sie müsste auf dem Schreibtisch liegen.«
»Moment. Ich sehe mal nach.«
Heinrich hörte, wie Nina durch die Wohnung ging. Ihre hochhackigen Schuhe klapperten über das Parkett. Dann öffnete sie die Bürotür.
»Nichts. Da liegt nichts.«
»Ach, ich habe sie gerade in meiner Aktenmappe entdeckt. Ich muss sie eben wohl übersehen haben. Entschuldige bitte, dass ich dich gestört habe.«
»Aber du störst doch nicht, Liebster. Ich freue mich über deine Anrufe. Das weißt du doch.«
»Ja, Schatz.«
»Du klingst so seltsam, so bedrückt. Ist irgendetwas passiert?«
»Nein, nein, keine Sorge. Ich ärgere mich nur über einen Mandanten. Nicht so schlimm. Ich möchte dich wirklich nicht damit belasten.«
»Ich höre dir gerne zu.«
»Ich erzähle dir heute Abend davon.«
»Also gut.«
»Ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch.«
Er legte auf.
Natürlich berichtete er ihr beim Abendessen nicht von Erik Stein. Er sog sich eine halbwahre Geschichte über einen Mandanten aus den Fingern, der ihn wiederholt angelogen hatte. Die E-Mail von Erik fraß er in sich hinein.
Sie begleitete ihn auch, als er zu Bett ging.
An Einschlafen war nicht zu denken; er wälzte sich von der einen Seite zur anderen, erfolglos.
Dann spürte er, wie Tränen sein Gesicht hinabrannen.
Seine Frau atmete ruhig und gleichmäßig. Sie sollte nicht erfahren, dass er weinte.
So entschloss er sich, die Initiative zu ergreifen: Er musste mit jemandem darüber sprechen.
Er stand auf, ging zu seinem Schreibtisch und kramte ein altes Notizbuch hervor.
Mit seiner Exfreundin Kathrin hatte er seit bestimmt sechs, sieben Jahren keinen Kontakt mehr gehabt. Er hoffte, dass ihre Telefonnummer von damals noch korrekt war.
Er wählte, sie hob ab.
»Ja, bitte?«
Er war nicht sicher, ob er tatsächlich die richtige Person am anderen Ende der Leitung hatte.
»Kathrin? Bist du es?«, vergewisserte er sich.
Keine Antwort.
»Hallo? Kathrin?«
War sie noch dran?
»So melde dich doch.«
Ihr Atem war deutlich vernehmbar.
»Kathrin?«
Endlich: »Ja, hier ist Kathrin.«
»Gott sei Dank, ich dachte schon, dir wäre etwas passiert … Hier ist Heinrich. Heinrich Denk. Ich muss mit dir sprechen. Dringend.«
13
Damals
E s war nicht meine Schuld.« Heinrichs Worte klangen in ihr nach, als Kathrin die blutbefleckten Küchentücher die Toilette hinunterspülte.
Sie kehrte wieder zu den Freunden zurück.
Heinrich und Thomas saßen immer noch einander gegenüber am Tisch, unverändert, sich anschweigend.
Erneut ließ sie sich im Schneidersitz neben dem Kopf des Toten auf dem Küchenboden nieder.
Die Situation erforderte ihre äußerste Konzentration. Das LSD und der Wodka boten ihr immer wieder Auswege und Fluchtmöglichkeiten aus der tragischen Szenerie. Doch sie stellte sich der Herausforderung; es gelang ihr, sich in der bitteren Klarheit der Realität zu halten.
Sie hatte den Puls gemessen, sowohl am Handgelenk als auch an der Halsschlagader.
Sie hatte ihm in die Augen geblickt.
Sie hatte ihr Ohr auf sein Herz gelegt und gelauscht.
Kein LSD und kein Wodka konnte ihr Leben vorgaukeln, wo keines mehr war.
Wie viel Zeit
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