Sterbestunde - Hübner, M: Sterbestunde
ich werde mir den Rest meines Lebens deswegen Vorwürfe machen.«
»Dann muss ich wohl Danke sagen, was?«
»Vergessen Sie’s«, winkte Koschny ab.
Sven stützte sich vorsichtig auf einen der Hocker vor dem Küchentresen. Augenblicklich pochte hämmernder Schmerz durch seine rechte Hand. »Haben … haben wir uns geprügelt oder so was?«
Bedächtig rieb Koschny sich das unrasierte Kinn, das unterhalb des Grübchens einen walnussgroßen rötlich blauen Fleck aufwies. »Sagen wir mal, der Ausläufer eines spontanen Reflexes von Ihnen hat mein Gesicht erwischt.« Damit kramte er die beiden letzten sauberen Teller aus einem der Hängeschränke und schaufelte den Inhalt der Pfanne darauf. »Hier«, sagte er und schob einen der Teller über den breiten Esstresen.
»Was ist das?« Sven verzog angeekelt das Gesicht.
»Omelette à la Koschny. Essen Sie, Sie sehen aus, als könnten Sie eine Stärkung vertragen.«
»Nein, danke. Ich hab’s nicht so mit Frühstücken.«
»Schön, dann machen Sie ein Mittagessen draus.«
Sven schielte auf die Anzeige des DVD -Rekorders. Viertel nach eins! Die letzte Nacht war seit Wochen die erste, in der er mehr als vier Stunden an einem Stück geschlafen hatte, und dank des Alkohols in seinem Körper war sie so erholsam gewesen wie eine Sechzehn-Stunden-Schicht. Angewidert starrte er auf den Teller. Dann stand er auf und tappte mühsam wieder in Richtung Flur.
»Wo wollen Sie denn hin?«, fragte Koschny verwundert.
»Als Erstes rasiere ich mir die Zunge«, erwiderte Sven. »Danach habe ich vor, mich mindestens zwei Stunden unter kaltes Wasser zu stellen. Ihre Kochkunst in Ehren, Koschny, aber ich glaube, ich würde im Moment nicht mal eine Tasse Kaffee runterkriegen.« Prüfend fuhr er sich mit der Zunge über die Zähne, die sich erschreckend weich und pelzig anfühlten. »Meine Güte, wonach schmeckt das bloß?«
»Vermutlich nach der chemischen Keule, die ich den halben Vormittag vom Teppichboden meines Autos gekratzt habe«, knurrte Koschny.
»Ach ja«, brummte Sven, dessen verschwommene Erinnerung an den Vorfall allmählich zurückkehrte. »Tut mir leid. Sagen Sie mir einfach, was ich Ihnen für die Reinigung schuldig bin.«
»Wie wäre es mit Kooperation?«
»Sie geben wohl nie auf, was?«, stöhnte Sven.
»Ich denke, nach der letzten Nacht habe ich mir Ihre Mitarbeit redlich verdient, finden Sie nicht?«
»Und Sie nennen mich einen Dickschädel?« Sven fasste sich an seinen schmerzenden Kopf. »Na schön, Sie haben gewonnen. Ich kooperiere. Aber nicht, weil ich Ihnen etwas schuldig bin«, stellte er klar. »Ich habe heute bloß keine Lust, mich mit Ihnen zu streiten.« Damit machte er kehrt und schlich zurück ins Bad.
Als kurz darauf das Plätschern der Dusche zu hören war, machte sich ein zufriedenes Grinsen um Koschnys Grübchen breit. Er spitzte erneut die Lippen und begann zu pfeifen. What a Wonderful World .
Nach etwa einer halben Stunde kam Sven ins Wohnzimmer zurück. Er trug einen weißen Bademantel und rubbelte sich die Haare trocken, während er sich erschöpft in den schwarzgrauen Polstersessel fallen ließ. Sogleich sprang Zorro auf seinen Schoß und kuschelte sich in den weichen Stoff des Bademantels.
»Sie mögen Katzen?«, fragte Koschny, während er die Essensreste in den übervollen Mülleimer kratzte und die schmutzigen Teller zu dem übrigen Geschirr stapelte.
»Ja«, antwortete Sven und sah in die grünen Augen des schnurrenden Katers. »Sie sind Einzelgänger und entwickeln eine Art eigenen Charakter. Ich glaube, wir könnten eine Menge von ihnen lernen. Sie sind doch nicht etwa allergisch gegen Katzen, oder?«
»Nein. Wir beide haben uns schon letzte Nacht kennengelernt. Ich habe ihm wohl seinen Schlafplatz streitig gemacht.«
Als hätte er die Worte verstanden, glitt Zorro an Svens Beinen hinab und trottete unter dem Tisch hindurch zur Couch, wo er sich schnurrend auf seiner Decke räkelte.
»Fühlen Sie sich besser?«, erkundigte sich Koschny, während er neugierig das Zimmer durchstöberte.
»Immerhin habe ich wieder Gefühl in meinen Beinen«, entgegnete Sven.
»In der Küche steht frischer Kaffee, falls Ihnen jetzt danach zumute ist.«
»Vielleicht später. Alles, was ich im Moment brauche, sind zwei Aspirin.« Während Sven seine Haare mit dem Handtuch bearbeitete, beobachtete er aus dem Augenwinkel, wie Koschny interessiert die Fotos auf dem schmalen Regal über dem Fernseher betrachtete.
»Sind Sie das?«, fragte er erstaunt
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