Sterbliche Hüllen: Thriller (German Edition)
ausgesehen hat. Die Ausgräber suchen noch danach.«
»Glauben Sie, er wurde abgetrennt?«
»Die Wirbelsäule zeigt keine Spuren, die darauf schließen lassen.«
»Was wissen Sie über ihn?«
»Er wuchs in einem kalten, feuchten Klima auf, war Vegetarier, aß aber Fisch. Nach der Vegetation zu schließen, die über ihn gewachsen war, lag er etwa fünf Jahre dort.« Diane erzählte ihm von der stabilen Isotopenanalyse.
»Ich bin beeindruckt.«
»Das sollten Sie auch sein. Das habe ich nämlich schon herausgefunden, als ich nur das Schlüsselbein hatte. Mit all diesen Knochen hier müsste der Rest eigentlich ein Kinderspiel sein.«
»Was wissen Sie über sein Alter und seinen Zustand?«
»Bei seinen Röhrenknochen sind die Epiphysenfugen nur zur Hälfte oder zu drei Viertel geschlossen. Das gilt auch für den Beckenkamm.« Sie strich mit den Fingern über den oberen Rand des Beckenknochens und hob ihn hoch. »Schauen Sie sich die Schambeinfuge an.« Mit dem Daumen rieb sie über die waagerechten Kanten und Rillen, wo die beiden Beckenknochen vorn zusammenliefen. »Das ist ein junger Knochen. Ich vermute, er war um die zwanzig.«
»So alt wie mein Sohn«, sagte Linc, wobei er über den Knochen strich. »Irgendwo da draußen sind sicherlich Eltern, die sich fragen, wo er ist.«
»An diesem Becken ist etwas ungewöhnlich«, erklärte Diane weiter und zeigte ihm die Verletzung neben der Schambeinfuge. »So etwas sieht man sonst nur bei schwangeren Frauen oder Frauen, die geboren haben. Sie entsteht nur, wenn großer Druck auf die Fuge ausgeübt wird.«
»Was ist mit seinen Schienbeinen?«, fragte Linc.
»Schienbeine? Er hat einen verheilten Bruch an einem Schienbein.«
»Was ist mit seinem Ellbogen?«
Diane zog die Augenbrauen hoch, griff nach dem linken Ellbogenknochen und untersuchte ihn. Erstaunt überprüfte sie auch den rechten Ellbogenknochen, doch der war von Tieren angeknabbert worden.
»Der linke Ellenbogen hat eine verheilte Verletzung. Der rechte vielleicht auch, aber das kann ich nicht mehr feststellen.«
Linc zwinkerte ihr zu.
»Und was ist mit seinem Kreuz?«
Diane kniff die Augen zusammen und untersuchte die Lendenwirbel. »Einer zeigt Abnutzungserscheinungen an den Rändern.«
Lincs breites Lächeln legte eine Reihe gleichmäßiger, weißer Zähne frei.
36
D iane legte die Wirbel an ihren Platz zurück. Sie drehte sich zu Linc um, der immer noch zufrieden lächelte.
»Okay, was wollen Sie mir sagen?«
»Ich glaube, Ihr Junge hier hat Eishockey gespielt«, sagte er.
»Eishockey?«
»Ich habe dieses Verletzungsmuster häufig bei Eishockeyspielern gesehen. Schienbeinbrüche sind an der Tagesordnung, genauso wie die Abnutzungen im unteren Rückenbereich. Manche haben so schlimme Schleimbeutelentzündungen am Ellbogen, dass sie Narben auf den Knochen hinterlassen. Bei vielen Sportarten kommt es zu Problemen in der Leistengegend, aber nur beim Eishockey übt die Seitwärtsbewegung einen solchen Druck auf die Schambeinfuge aus, dass Veränderungen entstehen, wie Sie sie mir gezeigt haben.«
»Also haben wir es wahrscheinlich mit einem Eishockeyspieler zu tun. Gut. Phantastisch. Und er wuchs in einem kalten Klima auf. Das passt. Da draußen gibt es sicherlich jemanden, der mit all diesen Informationen unseren Jungen identifizieren kann. Ich danke Ihnen.«
»Es freut mich, dass ich helfen konnte. Und werden Sie jetzt meinen ärztlichen Rat befolgen und nach Hause gehen, um sich auszuruhen?«
»Einverstanden.«
Diane schloss Gewölbe und Lagerraum ab, schaltete das Licht im Labor aus, schloss das Labor und die gesamte erste Etage hinter ihnen ab. Ihre Schritte hallten im Flur wider, als sie über den Marmorfußboden zum Aufzug gingen.
Die beiden Dienst habenden Wachleute Chanell Napier und Bernie Chapman standen unten am Empfang und unterhielten sich. Chanell stand hinter dem halbkreisförmigen Tresen, und Bernie lehnte von außen daran.
»Wo ist Leonard heute Abend?«, fragte Diane.
»Er ist schon seit ein paar Tagen krank«, erwiderte Chanell. »Wir sind für ihn eingesprungen.«
Diane merkte, wie sehr sie in letzter Zeit das Museum vernachlässigt hatte, und empfand Schuldgefühle. »Hoffentlich nichts Ernstes?«
»Ich glaube nicht«, sagte Chanell. »Er sagt, er habe Migräne.«
»Und Ihnen beiden geht es gut?«
»Ja, es ist alles ruhig hier. Bernie wollte gerade seinen Rundgang machen.«
Bernie fuhr sich mit der Hand durch das rote Haar und setzte seine Uniformmütze auf.
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