Sterbliche Hüllen: Thriller (German Edition)
Panik stieg in ihr auf. Sie hätte heulen können, doch dann hatte sie das Teil endlich in der Hand. Es fühlte sich an wie ein Schraubenzieher ohne Griff. Sie wickelte den Stoff der Kapuze darum, damit sie ihn besser festhalten konnte, tastete an der Kante des Kofferraumdeckels entlang, bis sie den Haken fand, der ihn festhielt. Sie drückte die Spitze des Schraubenziehers hinein und zog.
Der Schraubenzieher rutschte ab, und sie schlug mit den Knöcheln auf eine scharfe Kante. Es tat höllisch weh. Sie spürte den pochenden Schmerz in den Fingern. Ob sie blutete, wusste sie nicht. Wieder ertastete sie den Schnappriegel, zwängte den Schraubenzieher hinein und zog erneut mit aller Kraft an dem Haken.
43
D er Kofferraumdeckel sprang auf. Am Abendhimmel sah Diane eine Reihe Bäume vorbeiziehen. Ohne lange nachzudenken, machte sie einen Satz nach draußen, landete auf einer unbefestigten Straße, rollte sich ab, rappelte sich wieder auf und rannte die Böschung hinunter. Das Auto war nicht schnell gefahren, aber sie wäre in jedem Fall gesprungen. Lieber zu eigenen Bedingungen sterben. Ihr war klar, dass diese Leute sie töten würden, sobald sie bekamen, was sie wollten.
Die Reifen knirschten auf dem Kies, als der Wagen plötzlich bremste. Türen schlugen, leises Fluchen. Diane lief weiter. Ihr Adrenalin musste irgendwie die Schmerzen ausschalten, sie fühlte sich eigenartig kräftig – und sie wusste, wo sie war: auf der hinteren Zufahrt zum Museum, die zur Laderampe führte. Sie blieb im Wald, der sich neben der Straße erstreckte.
Ein schrecklicher Gedanke durchfuhr sie: Das Museum war abgeschlossen! Selbst wenn sie es bis dahin schaffte, bevor man sie einholte, hatte sie keinen Schlüssel und vor allem keine Zeit, darauf zu warten, dass die Wachleute sie hörten, wenn sie an die Tür hämmerte. Sie konnten im Erdgeschoss, aber auch im zweiten Stock sein. Sie befand sich in der Nähe des Naturlehrpfads, den sie wie ihre Westentasche kannte. Wenn es ihr gelänge, den Geräteschuppen zu erreichen, könnte sie dort vielleicht eine Waffe finden.
Man würde sie wahrscheinlich in der Nähe der Straße suchen. Darum ging sie tiefer in den Wald hinein und sprintete so schnell es ihr möglich war über eine Lichtung zum gegenüberliegenden Naturlehrpfad. Verdammt. Hinter ihr erklangen Rufe. Hatten die sie gesehen? Ihr Herz schlug bis zum Hals.
Sie überquerte einen Pfad. Um Himmels willen, bleib nicht auf dem Weg. Sie hielt sich zwischen den Bäumen. Der Schuppen stand in der Nähe des Teichs, der das Kernstück des vierzigtausend Quadratmeter großen Geländes bildete. Gern hätte sie sich einen Augenblick ausgeruht, aber sie lief nur etwas langsamer. Sie kam sich vor wie im Dschungel auf der Suche nach Ariel und auf der Flucht vor Santos’ Männern. Hass stieg in ihr hoch, und sie lief wieder schneller. Direkt vor ihr lag der Teich. Die Brücke darüber brachte sie auf eine Idee.
Als sie das Ufer des Teichs erreichte, rutschte sie behutsam ins Wasser, tauchte unter und schwamm weiter. Sie tauchte nur einmal auf, um ihre Lungen mit Luft zu füllen, damit sie unter Wasser die Brückenpfeiler erreichen konnte. Hinter einem Pfeiler stützte sie sich auf einen Querbalken, ruhte sich kurz aus und verhielt sich still. Trotz des heftigen Verlangens ihrer Lungen, nach Luft zu schnappen, zwang sie sich, langsam und lautlos zu atmen. Wasser kann Geräusche weit tragen.
Das Wasser war kühl und tat ihrem schmerzenden Körper gut. Erinnerungsfetzen blitzten aus ihrem Unterbewusstsein auf. Ariel. Wo war Ariel?
»Nein«, flüsterte sie laut, wobei sie Wasser in den Mund bekam und sich verschluckte. Scheiße. Bloß nicht husten! Und lass dich nicht von Erinnerungen einholen. Nicht jetzt. Sonst finden sie dich.
Ganz ruhig. Nur ruhig bleiben. Du kannst notfalls bis morgen früh hier bleiben. So lange werden sie hier nicht nach dir suchen. Jemand wird den verunglückten Lieferwagen finden, wenn sie ihn nicht weggeschafft haben. Jemand wird den Wagen auf der Zufahrt zum Museum finden; den müssen sie auf jeden Fall wegfahren. Bleib ganz still und warte ab.
Plötzlich hörte sie den Widerhall von Schritten auf der Holzbrücke. Vor Schreck hätte sie fast geschrien, blieb aber ruhig und tauchte hinter ihrem Pfeiler auf und ab. Die Schritte bewegten sich stampfend über sie hinweg und bogen zum Fütterungssteg ab, der rechtwinklig zur Brücke verlief und von dem aus man die Schwäne beobachten konnte.
Es war zu dunkel, um mehr
Weitere Kostenlose Bücher