Stern auf Nullkurs (1979)
drüben in der Finsternis des Alls verglühen die Reste von Sektion vierzehn.
Kalo starrt auf den Bildschirm, hin und wieder fährt er mit der Zunge über die trockenen Lippen. Seine Gedanken drehen sich quälend im Kreis, ihm steigt ein Brennen in die Kehle.
Pela ist nicht mehr. Sie hat einfach aufgehört zu existieren, von einer Stunde auf die andere. Der Sessel neben ihm ist leer, er weiß es, und doch zwingt ihn etwas, immer wieder nach rechts zu blicken, manchmal glaubt er dort ihren blonden Schopf zu sehen und ihr Lachen zu hören. Dann kneift er die Augen zusammen und reißt sie wieder auf, und nichts ist dort als die Sitzschale aus dunklem Schaumplast, die pedantisch geordneten Gurte und die Stütze, die den Abdruck ihres Kopfes in feinen Falten bewahrt. Er streckt die Hand aus und berührt die Fläche ihres Sessels, sie ist weich und faltig und kalt.
Auch diese Fältchen werden vergehen wie Pela selbst - und wie seine Trauer um sie, um einen Menschen, der ihn auf einem kurzen Stück seines Weges begleitete.
Ist das Trauer, dieses bedrückende Gefühl, unter allen Freunden allein zu sein, allein trotz der Gefährten, trotz Torre und Aikiko? Ist das Trauer, dieses trockene Gefühl im Hals, das gleichermaßen zum Husten wie zu Tränen reizt?
Wäre ihm wohler, wenn Torre Nelen umgekommen wäre oder gar Aikiko, mit der ihn so viel verband?
Ein absurder Gedanke, vielleicht ein Zeichen, wie nahe ihm Pela wirklich noch war, ein Signal, daß ihn trotz der Trennung nichts von ihr zu lösen vermochte.
Was ist das eigentlich, der Tod? Kalo starrt vor sich hin. Weshalb hat er sich stets bemüht, den Gedanken an das unvermeidliche Ende zu verdrängen? Weshalb war er stets bestrebt, sich ihm nicht zu stellen? Aus Angst? Aus Angst vor der großen Leere, dem endgültigen und unwiderruflichen Nichts, dem absoluten Nichtsein?
Nur einmal hat er mit Pela über den Tod gesprochen, kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten. Er hatte selbst davon angefangen, und ehe er es sich versah, hatte sie das Thema aufgegriffen.
Schon der erste leise Hinweis genügte, ihr Lachen herauszufordern. Nur ihre Augen blieben ernst. Sie hatte dunkle Augen, dunkelblau, mit einem Stich ins Graue. Als er von der Unbegreiflichkeit des Todes sprach, hellten sie sich ein wenig auf, und sie bekamen einen Schimmer, der ihn an das tiefe Blau unergründlicher Seen erinnerte. Das paßte nicht ganz zu ihrem Lachen.
„Unsinn!" sagte sie. „Angst vor dem Tode, weshalb? Der Tod ist normal, ist unausbleiblich, der Tod gehört zum Leben wie die Geburt. Das, was zwischen beiden liegt, ist wichtig. Darauf kommt es an. Auf den Gehalt, den wir unserem Sein zu geben verstehen, und darauf, daß jeder einzelne von uns die Evolution der Menschheit ein Stück voranbringt. Im Rahmen seiner Möglichkeiten selbstverständlich. Natürlich habe auch ich Angst. Aber nicht vor dem Tod an sich, sondern vor seinen Begleitumständen."
Das war eine lange Rede, und sie zeigte, daß sie sich mit diesem Thema bereits intensiv befaßt hatte. So war Pela. Sie verdrängte nichts, sie stellte sich den Fragen menschlichen Seins und zog ihre Konsequenzen. Und sie war glücklich dabei. Pela betrachtete die Sterblichkeit des Menschen nicht als emotionale Belastung, sie nahm das Leben nicht als stetiges Sterben, sie sah den Sinn belebter Materie in der Evolution, in ständiger Entwicklung.
„Nicht der einzelne ist wichtig", sagte sie später einmal, „sondern die Gesamtheit bewußten Lebens, die Gesellschaft. Wir leben durch die Gemeinschaft, und sie lebt durch uns. Wir entwickeln uns in ihr, nach den allgemeingültigen Gesetzen der Materie. Wenn wir uns mit diesen Gesetzen befassen, begreifen wir sie, und wenn wir sie begriffen haben, akzeptieren wir sie auch."
„Trotzdem", murmelte er. „Es beunruhigt mich, daß mit dem Tode alles vorbei sein soll. Schluß. Aus."
Sie lachte noch immer. Nur war der See in ihren Augen nicht mehr unergründlich. „Beunruhigt dich auch, daß du in den vergangenen Äonen materieller Existenz nicht vorhanden warst, daß dein bewußtes Sein erst vor wenigen Jahren einsetzte, wo doch die Welt schon seit Jahrmillionen besteht? Weshalb hattest du damals keine Angst, nicht geboren zu werden?" Sie legte die-Arme um seinen Hals. „Es gibt Schöneres, als über den Tod zu debattieren", sagte sie dicht an seinem Ohr, und es fiel ihr nicht schwer, ihn von der Wahrheit ihrer Worte zu überzeugen.
Irgendwann kamen sie auf das Thema zurück.
„Wir
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