Stern auf Nullkurs (1979)
Wahrscheinlich versucht er sich so der Belastung durch das ungewöhnliche Verhalten der Umgebung zu entziehen. Sein Atem geht tief und rasselnd.
Schließlich löst Randolph die Gurte, rastet die Steuertaster ein und schiebt sich vom Sessel ab. Unnötig, Überlegungen anzustellen, wer ihn begleiten wird, Kalo weiß, daß die Wahl längst getroffen ist. „Laß uns gehen!" sagt Randolph.
Erst in der Schleusenkammer findet Kalo wieder zu sich selbst, er spürt, wie sich Randolphs Sicherheit auf ihn überträgt. Sie überprüfen die Systeme der Skaphander mit trainierter Routine und melden sich ab. Aikiko verabschiedet sie wortreich, aber von Nelen hören sie nicht mehr als ein leises Brummen.
Dann schwingt die Luke vor ihnen auf. Sekundenlang gelingt es Kalo nicht, sich zu orientieren, wieder verwirrt ihn der Tanz der Sterne. Diesmal vermag er sich jedoch schneller zu fassen. Ab und zu taucht ein Stück Erde hinter den Leitflossen des Schiffes auf, der Mond steht weitab, und die Sonne ist nichts als eine glühende Aureole auf den Wänden der Rakete und ein helles Glühen auf der Wrackplatte.
Als Randolph sich aus der Schleusenkammer gleiten läßt, bleibt Kalo mühelos an dessen Seite.
Sekunden später tauchen sie in das Licht der Sonne ein, nach zwei Minuten erreichen sie den Rand der Sektion vierzehn. Die Temperatur des Materials liegt bereits unter der Gefahrenschwelle. Kalo faßt vorsichtig nach dem zackigen Rand der Abbrennstelle und zieht sich hinein in die Zentralkammer.
Nichts. Ausgeglühte Seile, der Hirngloboid im Zentrum zu einer formlosen Masse zerschmolzen, mannshohe Löcher in den Wänden des Kokons. Sonst nichts.
Kalo jagt den Kokongang entlang. Impuls folgt auf Impuls, die Strahler laufen auf Vollschub, die Wände verschmelzen zu einer schimmernden Röhre, hin und wieder berühren seine Schultern schmerzhaft das zähe Gewebe.
Abrupt stoppt er den Flug, als der Ausgang des Tunnels in Sicht kommt. Hier irgendwo hatte Pela ihr Seil befestigt, hier muß der Karabinerhaken hängen, wenn nicht gar das komplette Seil, und dann...
Seine Hand berührt den Haken, noch ehe er ihn sieht. Er sitzt so fest, ist so peinlich genau eingepaßt, daß sich beim Reißen des Seiles die Wand verformt hat. Der Rest der Leine, etwa einen Meter lang, ragt waagerecht ins Freie. Kalo glaubt die Gegenwart Pelas körperlich zu spüren, irgendwo auf den Wänden muß noch ihr Schatten sein, ein Rest von Körperwärme, ein Abdruck ihres Skaphanders.
Der Rand der Spiegelplatte ist deformiert, die glänzende Schicht mit einem feinen Muster überzogen, auf den ersten Blick wirkt es wie ein Spinnennetz. Sonst nichts.
Sie umrunden die Sektion mit ständig größer werdendem Radius, beschreiben eine Spirale, deren Achse mit der Drehachse des Spiegels übereinstimmt.
Stillschweigend rechnen sie beide damit, daß sich Pelas Körper nur auf dieser Ebene befinden kann. In jedem anderen Falle wäre die Suche in der Weite des Raums zum Scheitern verurteilt.
„Sie könnten uns helfen", sagt Randolph schließlich. „Sie haben Suchgeräte, die den unseren bei weitem überlegen sind."
Kalo muß nicht erst nachdenken, um zu wissen, daß Randolph die Astraten meint. Nur hätte er diese Bemerkung am allerwenigsten von Randolph erwartet.
„Weshalb sollten sie?" fragt er.
Trotz Entfernung und Finsternis spürt er Randolphs Blick. „Humanität!" sagt der Lautsprecher. „Sie sind intelligent wie wir. Intelligente Wesen sollten sich miteinander verbinden, einander helfen. Intelligenz ist summierbar, potenzierbar."
„Ausgerechnet uns helfen? Wir haben einen hohen Stand der Kultur, eine Medizin, die fast alle Krankheiten beseitigt hat, wir haben Erziehungsstädte für unsere Kinder, genug zu essen und Foliejacken, wir erzielten Höchstleistungen in Sport und Produktion. Wir wollen sie nicht in unserer Nähe haben, denn Änderung heißt Unruhe, birgt Gefahren. Wir wollen ihnen nicht helfen, weshalb sollten sie es tun?" Es soll sarkastisch klingen, aber Kalo fühlt selber, daß er sich in kalten Zorn redet, und er spürt auch bereits etwas wie Resignation.
Selbstverständlich merkt Randolph das sofort. Schepperndes Lachen kommt aus den Tonträgern. „Solange sich Menschen noch erregen können, ist nichts verloren. Bist du zufrieden mit dem, was ist? Oder Nelen, oder Aikiko? Sieh dir Atto Dyson an, seine Suche nach neuen Lösungen, nach Lösungen überhaupt, seine stetige Unrast. Die Menschen waren nie zufrieden mit dem,
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