Stern auf Nullkurs (1979)
Tatsache hofft Kalo bei seiner Argumentation zu nutzen. In jeder seiner Erklärungen hat er bisher darauf verwiesen, daß es sich seines Erachtens bei der Zivilisation der Astraten um die Gesellschaft von Wesen handele, die keinerlei Individualität kennen.
„Genaugenommen", pflegt er bei solchen Gelegenheiten zu sagen, „sind sie sogar außerstande, auch nur kurzzeitig ohne ihre Gesellschaft zu existieren. Und wenn sie einzeln aufzutreten gezwungen sind, begleitet sie stets einer ihrer Kontakter, der künstlich gezüchteten Pseudoastraten ohne Ego, mit denen sie sich austauschen und beraten können. Schon das allein scheint mir deutlich zu machen, daß sie kaum zu Aggressionen neigen dürften, da sie einander gleichgestellt sind."
Wenn man dann allerdings auf die für Menschen unbegreifliche, ja schockierende Fortpflanzungsmethode zu sprechen kommt, bleibt ihm kaum mehr, als zu bagatellisieren. „Eine für Insekten durchaus normale Methode", erklärt er dann. „Die einzige, um gesellschaftliche Geschlossenheit zu gewährleisten. Ich kann versichern, daß die Imagines sich keine andere Methode vorstellen können, und sie klagen auch nicht über mangelnde sexuelle Bindung oder Genüsse. Die menschliche Fortpflanzungsmethode ist eine der von der Natur angewendeten Varianten, und die der Astraten ist eine andere. Was soll daran schockierend sein?"
Aber selbst wenn man annimmt, daß seine Argumente gut und überzeugend sind, wie viele Menschen erreicht er schon mit ihnen? Und deshalb zweifelt auch Kregg am Erfolg.
Sie gehen alle Möglichkeiten durch, und am Ende steht nicht ein einzelnes Modell, sondern eine ganze Reihe von Varianten, von denen sie annehmen, daß sie alle Möglichkeiten einschließen, die sich verzahnen, ineinandergreifen, einander bedingen. Aber nicht eine Variante scheint ihnen absolut erfolgversprechend zu sein.
Spät am Abend erst verabschieden sich Kregg und Randolph.
Kregg bleibt in der Tür stehen, die Hände in den Taschen seiner Jacke. Er fixiert Kalo aus halbgeschlossenen Augen. „Eins noch", sagt er schließlich, und seiner ganzen Haltung ist anzumerken, daß es vielleicht das Wichtigste ist, was er jetzt, ganz am Ende ihrer Unterredung, noch zu sagen gedenkt. „Wenn du dich bei der Arbeitsgruppe Interkos meldest, wirst du wahrscheinlich auch auf Aikiko Mangawa treffen." Breit steht er in der Tür, ein Lächeln um die Mundwinkel.
Jetzt plötzlich gäbe es noch eine Menge zu sagen, aber Kregg läßt es nicht zu. „Du weißt, weshalb wir dich zur Mitarbeit bei Interkos vorgesehen haben", fährt er fort. „Während du dort Fakten sammelst, werden wir versuchen, die Exponenten von der Notwendigkeit einer Formulierung zu überzeugen, die uns alle Möglichkeiten offenläßt. Wir müssen Zeit gewinnen. Das heißt, der Grund für deine Delegierung ist nicht Aikiko, halt dir das immer vor Augen, obwohl...
Dann geht er endgültig, massig wie ein Schreitkran und undurchsichtig wie ein Orakel.
Während Kalo Jordan im Expreßzug nach Riga sitzt und eine Depesche an Pela Storm aufgibt, in der er ihr mitteilt, daß sie sich in den nächsten Wochen wahrscheinlich nur über das Videophon sehen werden, schwenken die Radiostrahler der Erde in die Richtung, aus der sich der dunkle Stern dem heimischen System nähert, unbeeindruckt, gefahrdrohend. Computer regeln Azimut und Winkelrichtung der Laserprojektoren, steuern Hub- und Drehgeschwindigkeit der Hyperbelstrahler, Magnetdrähte kriechen in Tastköpfe, Meßinstrumente schlagen aus, und Oszillomatenschirme leuchten auf - die Impulsfolgen an die Fremden sind unterwegs.
Erst als Kalo die Antwort an die Astraten über den Zugfunk hört, fällt ihm auf, daß man sie mit seiner Depesche an Pela vergleichen könne. Nicht nach der Geschwindigkeit, so weit versteigt er sich nicht, aber dem Sinn nach schon.
Seine Depesche und die Mitteilung der Menschen enthalten nichts, was als endgültig aufzufassen wäre, sie schaffen keine neue Situation, sie stellen Fragen und nennen Fakten, sie weisen hin und legen dar, es sind Sendungen, die Zeit gewinnen helfen sollen, die die Dinge in der Schwebe halten sollen, bis man sich über den eigenen Standpunkt klargeworden ist, und doch verweisen sie auf Trennendes.
Spiel in den Wolken
UNTER IHM VERSINKT der Stadtkomplex. Je höher die Maschine steigt, um so flacher wird der riesige Trichter, seine Farben verschwimmen, Dunst verwischt die Konturen, gleicht die Kontraste aus, nur das Meer
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