Stern auf Nullkurs (1979)
streifte, durch Restaurants und Parks.
Er fuhr hinüber auf die Insel im alten Strom, die wie jedes Jahr im Sommer von jungen Leuten bevölkert war. In diesem Jahr gab es wenig Sonnenstrahlen. Die Meteotechniker versuchten ein Regendefizit auszugleichen, um die Kritik der Jungen auf der Insel kümmerten sie sich kaum; ihnen war das fruchtbare Naß wichtiger.
Kalo mischte sich unter die Jugend, meist waren es Schüler und Studenten, die hier auf der Insel ihre freien Monate verbrachten. Auf seine Fragen antworteten sie lachend; sie schienen das Herannahen des fremden Sternes mit mehr Interesse als Sorge zu beobachten.
„Unsinn!" belehrte ihn ein Mädchen, das die Foliejacke mit der Anmut eines Fernsehstars zu tragen verstand, „was soll schon geschehen? Sie wollen leben und wir auch. Wir werden uns mit ihnen einigen."
„Aber die Gefahren für unser Sonnensystem", gab Kalo zu bedenken.
Das Mädchen schüttelte den Kopf, ihr langes Haar flog. Dann blickte sie ihn an und kam so nahe auf ihn zu, daß die Spitzen ihrer Brüste ihn fast berührten. Gefahr? Vielleicht. Ich habe mich noch nicht damit befaßt. Aber ich bin sicher, daß man eine Lösung finden wird. Immer hat man eine Lösung gefunden. Die alte Erde wird nicht untergehen. Ich glaube nicht daran."
Dann lief sie an ihm vorbei, unbeeindruckt von seinen Fragen, übermütig wie ein Fohlen, von einer Sekunde zur anderen war sie in einer Gruppe Jugendlicher verschwunden. Man blickte herüber, lächelte, und ein langer Schlaks legte die Hände zu einem Trichter vor den Mund. „Vielleicht wird es endlich ein wenig wärmer, wenn der Stern kommt", rief er.
Kalo ging unter den Bäumen am Fluß entlang, und er wußte nicht, sollte er sich freuen über den jugendlichen Optimismus oder traurig sein. Er hätte die Meinungen der jungen Leute auf der Insel als etwas Positives verbuchen können, aber er tat es nicht. Irgend etwas mißfiel ihm, doch er hätte nicht zu sagen vermocht, was es war.
Er traf Frauen und Männer an den Schaltpulten der unterstädtischen Fabriken und in lichtdurchfluteten Büros, und überall stellte er seine Fragen.
„Natürlich macht man sich Gedanken", sagten sie ihm. „Immer gab es bisher Auseinandersetzungen, wenn sich Gruppen mit unterschiedlichen Interessen begegneten. Vielleicht unterliegt dieses Zusammentreffen mit den Imagines gleichen oder ähnlichen Gesetzen. Gerüstet müssen wir auf alle Fälle sein."
„Sollten wir die Forderungen der Astraten ablehnen?"
Spätestens nach dieser Frage teilten sich die Meinungen. „Es hat keinen Sinn, schon jetzt in Panik zu verfallen, die Exponenten sollten genau prüfen, und wenn sich eine Chance der Eingliederung bietet, sollten wir den Fremden zu einer neuen Sonne verhelfen. Sie haben das gleiche Recht auf ihr Leben wie wir auf das unsere, und mit Vernunft läßt sich alles Trennende beseitigen", sagten die einen, und: „Es gibt diese Chance nicht", widersprachen die anderen. „Wir haben unsere Exponenten aufgefordert, abzulehnen. Was nützt es, wenn wir den Insekten helfen und dabei selbst zugrunde gehen?"
Und er begegnete auch Einzelgängern, die sich bei seinen Fragen ängstlich umschauten, als hätten sie den Spott ihrer Mitbürger zu fürchten, und ihn finsteren Auges musterten, ehe sie mit einem Fluch antworteten: „Ich wußte, daß es so kommen wird, verdammt noch mal! Das ist das Ende der Welt! Eindeutig! Es gibt keine Rettung mehr. Aber sag das denen mal." Meist machten sie dann eine Handbewegung; die die ganze Stadt umfaßte, die Menschen auf den Gleitwegen, die Gruppen spielender Kinder, die eilenden Fußgänger und die Sportler. „Sag denen das mal. Sie werden dich auslachen, sie begreifen es nicht, sie sind blind und taub. Dabei haben sich Menschen und Insekten nie vertragen. Jahrtausendelang haben wir sie verfolgt, vernichtet, ihnen die Lebensgrundlage entzogen. Jetzt werden sie es uns heimzahlen. Ich kann es ihnen nicht einmal verdenken."
„Aber auf vernünftige Weise könnte man doch..."
„Vernunft? Ausgleich? Friede? Mit denen? Daß ich nicht lache! Sieh sie dir doch an! Ihre gesellschaftliche Organisation ist perfekt. Gibt es Rationelleres? Ich sage: Nein! Sie sind uns haushoch überlegen. Jetzt endlich sind sie am Zuge. Ich wußte, daß es so kommen wird. Ich habe, es immer gewußt." Und dann, geheimnisvoll flüsternd: „Sie sind die neuen Herren der Erde. Der Mensch hat seine Aufgabe erfüllt, der Mensch tritt ab. So ist das!"
Kalo
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