Stern auf Nullkurs (1979)
aus dem Fenster. Sie hat die Ellbogen auf den Schreibtisch gestützt und das Kinn in die Handflächen gelegt. Wie ein Schemen hebt sich ihre Silhouette vom bläulichen Dämmer des Wassers draußen vor den Fenstern ab.
Endlich wendet sie sich halb um. Aber auch jetzt noch geht ihr Blick an Kalo vorbei. „Nur die Astraten können hinter diesen Dingen stekken", sagt sie.
„Das war zu erwarten", murmelt Kalo. „Sie haben angekündigt, daß sie die Stabilität unseres Systems testen werden."
„Trotzdem..'., sie hätten um Erlaubnis nachsuchen müssen."
Man merkt Aikiko an, daß ihr diese Entwicklung mißfällt. Die Aktivitäten der Fremden sind nicht modellhaft greifbar, und das zwingt die Arbeitsgruppe zu Reaktionen, wo sie doch viel lieber mit Aktionen aufgewartet hätte. Die Fremden sind im Zugvorteil, und sie scheinen nicht gewillt, diese Position aufzugeben.
„Wir müssen uns neue Maßstäbe erarbeiten", sinniert Kalo.
Jetzt blickt sie ihn voll an. „Andere Maßstäbe!" korrigiert sie. „Nichtmenschliche!"
Wer soll dazu imstande sein? Wer vermag sich vorzustellen, in welchen Bahnen das Denken der Astraten verläuft? Wie soll ein Mensch die Handlungen dieser Wesen begreifen, den Sinn herausfinden? Eine Aufgabe, die auf den ersten Blick unlösbar erscheint.
„Wenn jemand es könnte, dann nur du und Pela Storm. Und vielleicht auch noch Tonder", sagt Aikiko in seine Gedanken hinein. „Unmöglich!" entgegnet er. „Selbst wir waren stets unterschiedlicher Auffassung."
Aber sie widerspricht. „Das ist nicht wesentlich", sagt sie. „Wichtig ist, daß ihr wie Astraten gefühlt habt, daß es euch möglich war, ihre Probleme zu begreifen. Wenigstens, solange sie euch psychisch beeinflußt hatten..."
Offensichtlich sucht sie nach einem gangbaren Weg, nach Greifbarem, nach dem Anfang des Fadens im Knäuel.
„Wir müssen Kontakt aufnehmen zu ihnen", sagt Kalo. „Einen echten, zweiseitigen Kontakt. Nur das kann uns der Lösung..."
„Sie sind uns so fremd, Kalo."
„Es sind intelligente Wesen wie wir. Sie leben in einer sozial strukturierten Gesellschaft, die sich im Laufe von Jahrtausenden entwickelt hat."
„Sie sind..., sie sind..."
Es klingt, als wolle sie sagen: „Sie sind Tiere", aber sie spricht es nicht aus. Sie sucht nach einem weniger verfänglichen Wort.
„Insekten...", ergänzt er. „Imagines."
Sie nickt. „Eben, eben. Und mit denen sollen wir uns verständigen können, Gedanken und Meinungen austauschen, einen gemeinsamen Weg finden?"
Es ist, als hätte sie nun doch „Tiere" gesagt. Zumindest klingt es so. „Bisher wissen wir nur, daß sie sich äußerlich von uns unterscheiden und daß sie schwerwiegende Probleme haben", erwidert er schroff.
„Aber wir wissen auch, daß es Gemeinsames gibt zwischen uns. Sie sind kreativ, sind schöpferisch tätig, andernfalls wären sie außerstande, ihre Gemeinschaft sozial zu optimieren. Und sie kennen die Logik. Die Logik wird das Verbindungsglied zwischen ihnen und uns sein."
„Ihre Logik wird aber von vielen Seiten angezweifelt." Endlich beginnt sich Aikiko mit seinen Argumenten zu befassen, er muß sie zur Diskussion zwingen, muß sie zwingen, ihm zu helfen, seine Gedanken zu zergliedern, zu kritisieren; nur so kann sie ihn auf den •richtigen Weg führen. Auch wenn sie selbst diesen Weg noch gar nicht sieht. Nur durch gemeinsames Abwägen werden sie zu einer Synthese finden.
„Mag sein, daß viele Menschen eine Integration Astrats ablehnen, aber diese Ablehnung stützt sich doch nur auf Emotionen und Vermutungen, bestenfalls auf unbewiesene Hypothesen."
„Viele? Es ist die Mehrheit. Randolphs Schätzung beweist..."
„Sie beweist nichts!"
Soll er ihr sagen, was er von einer solchen Befragung hält, von einer Ermittlung der sogenannten öffentlichen Meinung? Daß er überzeugt ist, bestimmte Ansichten lassen sich nicht so sehr vom Inhalt der Argumente beeinflussen als vielmehr von der suggestiven Kraft, mit der diese vorgetragen werden? Soll er ihr sagen, daß seines Erachtens ein solches Problem überhaupt nicht durch die Ermittlung von scheinbaren Standpunkten gelöst werden kann, weil nur ein geringer Prozentsatz der Befragten die Fakten genau kennt?
„Wir müssen erreichen, daß die Vernunft das Urteil fällt", sagt er, und er spürt selbst, daß er mit dieser Formulierung eigene Unsicherheit zu verbergen sucht.
Aikiko kneift auch prompt die Augen zusammen. „Und wie soll man Vernunft
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