Stern auf Nullkurs (1979)

hundertmal hatten sich Forscher und Ingenieure aus Stationen und Fahrzeugen entfernt, um den Lithophanten aufzulauern, um die Veränderungen zu ermitteln, die die Bestrahlungen an ihnen hervorriefen. Noch nie war dabei ein Unglück geschehen.
    Heute aber stimmte etwas nicht mit diesen Biestern. Und auch mit dem Funkverkehr war nicht alles in Ordnung. Lorenzen konnte sich eines unangenehmen Gefühls nicht erwehren. Hol's der Teufel! 
    Er stellte die Welle von Ares 1 ein. Er benötigte Minuten, das Peilzeichen hereinzubekommen, und auch dann noch blieb es schwach und von Störungen überlagert. Mußten die beiden auch ausgerechnet heute hinter den Mineralfressern herjagen?
    Und dann sah er die Mutante, sah sie eher als die beiden dort draußen, und es war ganz normal, daß er sie eher sah, denn sie kam direkt auf das Fahrzeug zu, und sie bewegte sich in einem irrsinnigen Tempo. Wie ein rötlichgrauer Teppich schoß sie heran, wie ein fliegender Teppich, nur wenige Zentimeter über dem Boden dahinrasend und jede Unebenheit exakt nachzeichnend.
    In unmittelbarer Nähe des Fahrzeuges teilte sich das Wesen und glitt rechts und links vorbei. Die Heckobjektive zeigten, daß sich die beiden Teile nach Passieren des Hindernisses wieder vereinigten. Und das alles geschah bei voller Geschwindigkeit.
    Was war nur aus diesen Lithophanten geworden? Vor drei, vier Jahren noch unscheinbare rötliche Flecke auf dem feinen Sandboden des Mars, die sich lediglich im Zeitlupentempo zu bewegen vermochten, zusammengesetzt aus einer Unzahl staubfeiner Einzelwesen, kaum höher organisiert als eine Bakterienkolonie, von der sie nur ihre ungeheure Affinität unterschied, hatte die Bestrahlung der Exobiologen sie bestürzend verändert.
    Jetzt zeigten sie sich als schnell bewegliche Kolonien mehr als faustgroßer Spinnen, die als einzige Relikte ebendiese verblüffende Affinität und die Fähigkeit, sich von Mineralien zu ernähren, behalten hatten.
    Das alles ging Lorenzen blitzschnell durch den Kopf, aber dann überwog nur noch eine einzige Frage: Was trieb die Lithophanten aus der Wand von Mortula-Ort hinaus? Wieso verließen sie urplötzlich ein Revier, dessen Grenzen sie bislang nie überschritten hatten? 
    Irgendwo in Lorenzens Innerem schlug eine Alarmglocke an. Er startete den Motor und kurbelte fieberhaft am Peilgerät, um das Zeichen von Ares 1 erneut zu finden. Er mußte denen dort sagen, daß sich hier etwas anbahnte. Aber Ares 1 schwieg jetzt ganz, und nicht nur diese Station, auf dem gesamten Band lagen nur noch Störungen. Es heulte und pfiff so stark, daß er den Empfang unter die Ansprechschwelle des Gerätes drosseln mußte, und auch dann noch war keine Ruhe zu erreichen. Auf Mars war die Hölle los.
    Mit einer kurzen Handbewegung warf er den Gang ein, die Gitterreifen krallten sich in den Boden, Sand und Steine polterten gegen die Verkleidungsbleche, torkelnd setzte sich die Maschine auf die Wand zu in Bewegung.
    Kaum zweihundert Meter hatte Lorenzen zurückgelegt, als er auf das Bremspedal stieg. Uber der Wand hingen drohend mattrötliche Dunstschleier. Und noch während er die Augen fester an die Okulare preßte, schlug ein Blitz in den Dunst. Es war ein Blitz von gigantischen Dimensionen, es schien, als flamme für mehrere Sekunden der Himmel selbst auf. Lorenzen konnte es genau sehen, und der Vorgang prägte sich seinem Hirn fest ein. Weit oben über dem Dunst, kilometerhoch in der Atmosphäre, entstand ein Funke, bläulichweiß zuerst, sich ausdehnend zu einem grellgelben Feuerball. Und aus diesem Feuerball fiel ein Vorhang hernieder, ein prächtiger Vorhang aus dunklem Feuer, ein wenig heller in den flatternden Falten, die zwischen dunkelroten, senkrechten Streifen lagen, weiter und weiter auseinanderstrebend, je näher sie der Wand kamen.
    Und dann hüllte das untere Ende des Vorhangs Mortula-Ort ein, verdeckte die Wand mit einer feurigen Plane, aus der einzelne Pfeile herabfuhren.
    Staub wallte auf, erhob sich wie eine mächtige Woge, die Wand und den feurigen Vorhang verdeckend. Sekunden später raste der Donner heran, sacht aufgrollend zuerst, dem drohenden Knurren eines Raubtieres vergleichbar, dann plötzlich in einem furchtbaren Brüllen explodierend, als wolle die Atmosphäre bersten. Wie von Titanenfäusten wurde das Fahrzeug geschüttelt.
    Und noch während Lorenzen sich zu fassen suchte, erloschen die Signale auf dem Pult.
    Abermals warf er den Gang ein und jagte die Maschine hinein in die wabernden