Stern der Leidenschaft
über diese Gabe verfugen. Und damit drängt sich mir die Frage auf: Wovor fürchten Sie sich?«
Brittany fuhr herum. Der Sprecher war der Kerl, der sich vorher als Beobachter bezeichnet hatte. Er sah ein wenig wichtiger aus als die anderen gelangweilt dreinblickenden Gesellen. Deshalb hatte Brittany sich auch an ihn gewandt. War der Mann am Ende gar Jorran höchstpersönlich?
Nun erhob er sich. Die Respekt einflößende Aura eines Befehlshabers umgab ihn wie ein Umhang. Zu voller Größe aufgerichtet, mit eigenartig durchdringenden smaragdgrünen Augen und der stolzen Körperhaltung eines Königs fehlte ihm nur die Krone, um ihn wie das zum Leben erwachte Bild eines Monarchen erscheinen zu lassen. Allein das Preisschild, das am Ärmel seines Anzuges prangte, zerstörte den Ehrfurcht gebietenden Eindruck, den er auf den ersten Blick erweckt hatte.
Das Etikett fiel Brittany ins Auge, als der Kerl seine Arme verschränkte. Ein kurzer, nervöser Blick auf die anderen Männer zeigte ihr, dass auch ihre Sakkos noch mit Preisschildern versehen waren. Ein ausgefallener Modetrend aus ihrem Heimatland? Oder wussten sie nur nicht, dass man im Allgemeinen das Preisschild entfernte, bevor man in einem neuen Kleidungsstück durch die Gegend spazierte? Und warum trugen sie ausnahmslos nagelneue Anzüge? Verlangte ein Termin beim Bürgermeister die Anschaffung neuer Kleider? Oder trugen sie vielleicht ansonsten eine Landestracht, die zu diesem Anlass unpassend erschien? Wieder einmal verstieg Brittany sich zu den wildesten Vermutungen, anstatt sich mit den harten Tatsachen auseinander zu setzen. Viele gesicherte Fakten, auf die sie sich stützen konnte, gab es allerdings nicht. Aber die lächerlichen Preisschilder bewirkten zumindest, dass ihre Angst nach und nach verflog. Wie sollte sie die Verschwörungspläne von Leuten ernst nehmen, die offensichtlich überhaupt keine Ahnung von den Sitten, Gebräuchen und Zuständen in ihrem Land hatten und sich einbildeten, hier dennoch – mir nichts, dir nichts – die Kontrolle übernehmen zu können?
I)er Mann wartete auf eine Antwort. Brittany wich seiner Frage aus: »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie sprechen.«
Ein Schatten huschte über das Gesicht ihres Gegenübers. »Natürlich wissen Sie das. Sie werden mir jetzt eine wahrheitsgemäße Antwort auf meine Frage geben, oder ich lasse Sie verhaften. Der Bürgermeister wird schwören, dass Sie einen Mordanschlag auf ihn verüben wollten.«
Das war sicher eine Finte. Es konnte gar nichts anderes sein. Eine solche Anschuldigung würde sie zumindest für ein paar Tage ins Gefängnis bringen. Und wofür? Weil sie eine Frage nicht beantwortet hatte? Eine Mischung aus Empörung und aufsteigender Panik beschleunigte Brittanys Pulsschlag. »Haben Sie das gehört, Herr Bürgermeister?«, fragte sie. Sullivan legte die Stirn in Falten. »Ich höre nur, wie Sie irgendwelchen Unsinn vor sich hin reden.« Jorran seufzte laut und vernehmlich. »Bedauerlich, dass er das gesagt hat. Ich war eigentlich nur neugierig, wovor Sie sich fürchten. Nun werden wir Sie eben selbst hier festhalten müssen,«
Der Kerl hatte also tatsächlich nur geblufft. Nichts lag ihm ferner, als den Sicherheitsdienst des Rathauses auf den Plan zu rufen und damit Aufsehen zu erregen. Aber dass er sie nun selbst am Gehen hindern wollte, war beinahe genauso schlimm. »Und fragen Sie Sullivan nicht, warum er uns weder hört noch sieht, Frau«, fügte der Mann herablassend hinzu. »Mir ist nicht daran gelegen, Ihre Neugier zu befriedigen.« Damit schien die Sache für ihn erledigt zu sein, und das machte Brittany zornig. Sie war unwichtig, ein kleines Ärgernis, das man am besten unter den Teppich kehrte. Man betrachtete sie nicht als echte Bedrohung irgendwelcher sorgsam ausgeklügelter Pläne. »Fragen? Ich brauche nichts zu fragen«, sagte sie nun ebenfalls ziemlich hochmütig. »Ich weiß genau, warum der Bürgermeister Sie weder hört noch sieht.«
Kapitel Vierundzwanzig
Brittany wusste nicht, welcher Teufel sie geritten hatte, als ihr dieser Satz herausgerutscht war. Dass es selten gut war, im Zorn zu sprechen, galt offensichtlich auch für sie. Sie hätte ihren Mund halten sollen. Sie hätte so tun sollen, als sei sie nur eine x-beliebige Bittstellerin, die ein wenig von der kostbaren Zeit des Bürgermeisters für ihr Anliegen in Anspruch nehmen wollte. Jorran und seine Männer damit zu überraschen, dass sie mehr über sie wusste, als sie gedacht
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