Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
dachte Mafalda. Ich habe sie schließlich bezahlt.
»Hat sie dir Spaß gemacht, die Schule?«
Rafaela nickte. »Gesellschafterin. Was habe ich da zu tun?«
Mafalda zuckte mit den Schultern. »Mein Mann ist nicht nur krank, er ist auch müde. Lebensmüde. Nichts macht ihm mehr Spaß. Du könntest ihm aus der Zeitung vorlesen, mit ihm Schach spielen, ihn bei einer Ausfahrt mit der Droschke begleiten.«
Das Mädchen blieb stehen. »Aber ich kann noch mehr als das«, sagte sie. »Ich kann kochen, putzen, waschen, backen, ja, ich kann sogar die einfache und die doppelte Buchführung.«
»Das ist gut zu wissen«, teilte Mafalda ihr mit. »Und jetzt komm. Es ist schon spät.« Sie deutete auf den Himmel, wo schwarze Wolkentürme zu sehen waren. »Die Zeit der Hurrikane ist angebrochen. Ich möchte nicht, dass wir in einen Sturm geraten.«
Es war, als hätte der Wind genau auf Mafaldas Worte gewartet. Von einem Moment auf den anderen kam er auf, wirbelte den Staub von der Straße wie eine Fontäne in die Luft. Die Kronen der Bäume bogen sich, die Blätter rauschten, hölzerne Fensterläden wurden energisch gegen Hauswände geschlagen. Ein Pfeifen und Ächzen und Stöhnen lag in der Luft, Gegenstände wurden hochgehoben und ein paar Meter weiter plötzlich wie ungeliebtes Spielzeug fallen gelassen. Von einer Leine riss sich die Wäsche los, segelte über Büsche und Zäune. Eine Frau rief nach ihren Kindern, Katzen flüchteten ins schützende Innere der Häuser. Vor ihnen wurde ein Holztisch umgestoßen, ein Schachbrett und die Figuren landeten im Dreck.
Mafalda griff nach Rafaelas Hand und zog sie mit sich. Überall in den Straßen begannen die letzten Vorbereitungen zum Schutz gegen den Sturm. Männer nagelten Bretter vor die Fenster, Frauen sammelten alles ein, das noch herumlag. Mafalda dachte daran, dass ihr Haus noch vollkommen ungesichert war, und wusste zugleich, dass Hermann bestimmt keinerlei Anweisungen gegeben hatte.
Doch das war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste von allem war, dass sie morgen zu Joachim Groth gehen musste. Sie würde ihm erzählen müssen, dass Mister Carpenter alle Verträge gekündigt hatte, und sie musste ihn fragen, nein, ihn anbetteln, wenn es nicht anders ging, um weiterleben zu können. Sie seufzte während des Laufens, und zum zweiten Mal schlich sich eine gnadenlose Wut auf Hermann in ihre Gedanken. Grob packte sie Rafaela beim Handgelenk und zerrte sie hinter sich her. Sie merkte nicht einmal, wie sich ihre Schritte beschleunigten. Sie war getrieben von Wut auf den Mann, der ihr einst den Himmel auf Erden versprochen und nun die Hölle für sie geschaffen hatte.
Auch in der Bar bemerkte man die ersten Spuren des Hurrikans. Die Fensterläden schlugen vor und zurück, die Tür knallte zu, die Mädchen auf den Schößen der Männer starrten ängstlich nach draußen.
Der Barmann aber entspannte sich sichtlich. Seine Miene zeigte höchste Befriedigung. Er wandte sich an die Männer, die am Tisch saßen. »Meine Herren, wir haben noch Zimmer frei. Sichere Zimmer. Nur für den Fall, dass Sie es nicht mehr nach Hause schaffen.« Er deutete mit dem Finger nach draußen. »Schon jetzt besteht Lebensgefahr.«
Wie um seine Worte noch zu unterstreichen, knarrte es ungeheuerlich. Das Knarren und Knarzen übertönte das Tosen des Sturmes, und die Gäste sahen, wie sich gegenüber der Bar auf einem kleinen Platz eine hochgewachsene Palme bis zum Erdboden bog, um dann mit heftigem Getöse zu zersplittern.
Auch Groth blickte besorgt nach draußen. Gerade lief eine junge Frau vorüber. Sie hatte die Schultern hochgezogen, hielt mit der einen Hand ihren Hut, mit der anderen ihr Kleid, an dem der Sturm wie ein ungeduldiger Liebhaber riss. Sie stemmte sich mit aller Kraft gegen den Sturm, doch sie kam keinen Schritt vorwärts. Gleich hinter ihr lief ein Mädchen, hielt sich geduckt im Schatten der Hauswände. Irgendwo fielen Ziegel zu Boden, und das Mädchen sprang erschrocken zur Seite. Sofort erkannte Groth, wer die junge Frau war. Er erschrak, wandte sich um und versuchte, die Aufmerksamkeit der anderen Männer in die entgegengesetzte Richtung zu lenken. Doch es war zu spät.
Carpenter zeigte mit dem Finger nach draußen. »Da ist sie doch!«, rief er aus und lachte, als der Wind ihr unter die Röcke fuhr und sie so hoch wehte, dass sie das Gesicht verdeckten und die Frau im Dunkeln stehen ließen.
»Das ist sie?«, fragte der Jüngere, stand auf und trat nahe an das Fenster, um den
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