Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
sich auslachen lassen von den Huren, ausnutzen und ausnehmen. Er zahlte für ein Kind, von dem er sich nicht sicher war, ob es auch tatsächlich seins war. Zwar zeigte es ein Muttermal an derselben Stelle, an der seine beiden ehelichen Kinder es auch hatten, aber reichte allein das zum Beweis? Und nun drohte alles aufzufliegen. Wie würde Marianne reagieren? Würde sie ihre Koffer packen, nach Deutschland zurückkehren und ihn hier allein lassen?
Groth konnte nicht anders, er schluchzte auf, als er daran dachte. In diesem Augenblick schlug Marianne die Augen auf. Sogleich lächelte sie ihn an, mit diesem stets gleichen Lächeln, das er vergessen hatte, obwohl er es täglich sah, und das ihm jetzt so ungeheuer wertvoll erschien.
»Guten Morgen, mein Lieber«, sagte Marianne und wischte sich eine Haarsträhne aus der Stirn.
»Guten Morgen.« Groth staunte, dass seine Stimme heute so rauh klang.
»Hast du gut geschlafen?« Marianne sah ihn an. Sie sah ihn wirklich an. Ihr Blick schweifte über sein Gesicht, mit leichter Besorgnis und stiller Freude.
Ja, dachte Groth, sie freut sich, mich zu sehen. Auch ich bin alt geworden, faltig, hässlich, aber sie sieht mich noch immer so an wie vor zwanzig Jahren. Für sie bin ich keine Zumutung. Keiner, der so alt und hässlich ist, dass er Geld zahlen muss für jeden Kuss, für jede noch so flüchtige Zärtlichkeit. Ein warmes Gefühl durchflutete ihn, ein Gefühl der Dankbarkeit und Zuneigung. Am liebsten hätte er sie in den Arm genommen, aber, verdammt, er hatte tatsächlich vergessen, wie sich das anfühlte, jemanden nicht bitten und betteln zu müssen, sondern sich einfach, wie jeder normale Mann, an die Weichheit und Wärme einer Frau schmiegen zu können.
»Ich habe gar nicht geschlafen, meine Liebe«, antwortete er auf die Frage seiner Frau.
»Oh, das tut mir leid. Was geht dir im Kopf herum? Sind es die Gedanken, die dir den Schlaf rauben? Das Geschäft?«
Sie blickte ihn an, als wollte sie es tatsächlich wissen. Er schüttelte den Kopf. »Mach dir keine Sorgen. Es gibt kein Problem, das sich nicht lösen ließe.«
Und jetzt wagte er es doch. Joachim Groth hob die Hand und streichelte seiner Frau die Wange.
Überrascht blickte sie ihn an. »Bist du sicher, dass du nichts hast?«
»Ja, das bin ich. Mir ist nur gerade aufgefallen, wie sehr ich dich liebe.« Er sagte es leise, aber er wusste, dass Marianne ihn verstand. Sie verstand ihn immer.
»Das freut mich, mein Lieber«, erwiderte sie. »Das freut mich sehr.« Und dann hob sie die Hand, zögernd und leicht zitternd, und strich ihm über das Gesicht, so sanft und warm, dass Groth die Augen schließen musste, um nicht in Tränen auszubrechen.
Rafaela wachte auf und war glücklich. Das war jeden Morgen so. Sie freute sich auf den Tag, sie freute sich am wispernden Geräusch des Regens, an dem leisen Wind, der ihre Vorhänge bauschte. Wie hatte Anita oft zu ihr gesagt: »Kind, worüber freust du dich nur den ganzen Tag? Dass du auf der Welt bist und nicht runterfällst?« Und dann hatte Anita gelacht und ihr einen Kuss auf die Stirn gegeben.
Jetzt fiel Rafaela ein, dass sie Anita heute nicht sehen würde. Ein leises Ziehen in der Herzgegend wischte ihr für einen Augenblick das Lächeln vom Gesicht. Sie sprang auf, sah sich in ihrem neuen Zimmer um. Die Vorhänge waren mit einem bunten Muster bedruckt. Auf dem Dielenboden lag ein weicher Flickenteppich, wie er in Kuba üblich war. Ein Teller mit Orangenschalen stand auf einer kleinen Kommode und sorgte für einen frischen Duft im Zimmer. Neugierig öffnete Rafaela die Schranktüren. Mafalda, ihre neue Herrin, hatte ihr gestern erklärt, dass in diesem Schrank Kleider für sie hingen. Kleider, die früher einmal ihr, Mafalda, gehört hatten und die Rafaela passen müssten.
Die Kleine stieß einen Ruf der Überraschung aus. Behutsam, als könnte sie etwas zerbrechen, befühlte sie die feinen Stoffe, betrachtete die kostbaren Stickereien, freute sich an den bestickten Knöpfen. Für mich?, dachte sie. Ist das wirklich alles für mich?
Sie nahm einen seidenen Unterrock aus einer Schublade und presste ihre Wange an den kühlen, glatten Stoff.
Sie streifte ihr Nachthemd ab, füllte die Schüssel des Waschgeschirrs mit kaltem Wasser, roch mit geschlossenen Augen an der Seife und wusch sich. Dann schlüpfte sie in ein gelbes Kleid, dessen Stoff sich wie eine zweite Haut an ihren Körper schmiegte. Rafaela drehte und wendete sich, ließ den Stoff um ihre Beine
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