Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
sich unwillig in seinem Bett, hob dabei die Decke ein wenig hoch, und Mafalda wich vor dem sauren, schalen Geruch, der darunter hervorstieg, zurück.
Hermann sah sie an, als verlangte sie von ihm mehr, als er leisten konnte. Doch Mafalda zeigte sich unnachgiebig. Sie begab sich zu seinem Schrank, legte frische Unterwäsche, ein Hemd und eine bequeme Hose für ihn heraus. »Ich gehe jetzt zur Handelsgesellschaft Groth, Jessen und Krischak. Vielleicht weiß Groth Rat, mit wem wir in Zukunft noch Geschäfte machen können. Unsere Barmittel sind beinahe erschöpft. Wenn nicht bald etwas geschieht, haben wir nicht einmal mehr das Brot auf dem Tisch. Du wirst deinen Teil dazu beitragen.« Sie hörte selbst, dass ihre Stimme bei den letzten Worten schrill geworden war, und sofort stürzten ihr die Tränen aus den Augen. Sie weinte über ihre Verzweiflung, aber auch darüber, dass sie Hermann so barsch angesprochen hatte. Gleich legte sie eine Hand auf seinen Arm. »Verzeih mir, Liebster. Ich wollte dich nicht anfahren.«
Für einen Augenblick hatte sie das Gefühl, dass ihre Worte in sein Inneres gedrungen waren. Sein Blick war weich, nicht mehr so hart, wenn auch so weit weg. Er sah sie an, wie er sie früher angesehen hatte. Ja, er hob sogar die andere Hand, als wolle er sie damit streicheln, doch kurz über ihrer Haut ließ er sie wieder fallen. Sie hätte diese Berührung jetzt so dringend gebraucht. Diese Berührung, einen liebenvollen, freundlichen Blick und ein gutes Wort. Ein einziges gutes Wort nur, das ihr das Gefühl gab, er hörte sie, er sah sie, er nahm sie wahr. Doch schon waren Hermanns Augen wieder erloschen, waren kalt und grau wie Asche, und Mafalda wusste, dass ihre Hoffnungen umsonst gewesen waren.
Joachim Groth hatte schlecht geschlafen. Immer wieder hatte er sich von einer Seite auf die andere geworfen, darauf bedacht, seine Frau nicht zu stören, die leise und sanft atmete. Als es hell wurde, hatte er sich auf seinen Ellbogen gestützt und seine Frau angesehen. Sie waren seit zwanzig Jahren verheiratet, und es war keine Liebes-, sondern eine Vernunftehe gewesen. Er hatte Marianne immer als Selbstverständlichkeit in seinem Leben betrachtet. Was immer auch geschah, sie würde morgens neben ihm liegen. Jetzt sah er sie an, etwas, das er seit vielen Jahren nicht mehr getan hatte, genau so, wie man ein Möbelstück, das man täglich benutzt, einen Sessel etwa, nicht mehr sieht. Sie ist alt geworden, dachte er mit plötzlich aufkommender Zärtlichkeit. Ihr Haar war dünn und spröde geworden. Feine Linien zogen sich durch ihr Gesicht, das noch immer dieselbe zarte Haut hatte wie früher. Nur, dass sie jetzt wirkte wie kostbares altes Papier, zu wertvoll, um darauf zu schreiben. Er hob die Hand, um mit dem Finger die feinen Linien, die sich von der Nase bis zu den Mundwinkeln zogen, nachzuzeichnen, doch dann ließ er es. Er hatte sie schon so lange nicht mehr berührt. Jahre schon nicht mehr.
Marianne stöhnte im Schlaf leise auf. Ihre Lider flatterten, und Joachim Groth hatte Angst, sie würde aufwachen, doch sogleich beruhigte sie sich wieder und nahm die sanften, stillen Atemzüge auf. Ihr Mund, noch nie besonders voll, war mit den Jahren schmaler geworden. Das war Groth bisher nicht aufgefallen. Sie kam ihm mit einem Schlag so verletzlich und kostbar vor wie chinesisches Porzellan, und für einen Moment überrollte ihn die Reue wie eine schwarze Welle. Ich hätte mehr auf sie achten sollen, dachte er voller Bitternis. Ich hätte mit ihr reden sollen, sie ansehen müssen. Sie ist nicht nur die Mutter meiner Kinder, verdammt, sie ist meine Frau, mein Weib, vor Gott und den Menschen mir anvertraut. Jetzt, da die Gefahr bestand, dass er sie verlor, aus eigener Schuld verlor, konnte er den Gedanken, sie niemals mehr zu sehen, kaum ertragen. Marianne war ihm immer eine gute Frau gewesen. Sie hatte wenig Ansprüche, schalt nicht mit ihm, sondern begegnete ihm allzeit mit derselben Freundlichkeit und demselben Lächeln. Seit Jahr und Tag. Sie hatte sich hervorragend um die beiden Kinder gekümmert, hatte anständige, starke Menschen aus ihnen gemacht. Und sie war für ihn da gewesen, wann immer er sie gebraucht hatte. An seinem Bett hatte sie gewacht, als er krank gewesen war. Sie hatte ihm unaufgefordert zugehört, sobald er den Mund aufmachte. Marianne. Wie hatte er all das, was sie für ihn war, so vergessen können? Stattdessen hatte er sich hin und wieder in den Hafenspelunken herumgetrieben, hatte
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