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Sterne der Karibik: Roman (German Edition)

Sterne der Karibik: Roman (German Edition)

Titel: Sterne der Karibik: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrice Fabregas
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junge Frau zu sein, die keine Antworten brauchte, wenn sie auch so sah, was vor sich ging.
    Sie half Hermann, sich aufzurichten, sie wusch ihn, putzte ihm die Zähne, sie fütterte ihn, setzte ihn in einen Sessel, und dann las sie ihm vor oder spielte mit ihm Schach.
    Mafalda konnte das nicht. Es fehlte ihr an Zeit, an Geduld. Sie hatten kein Geld mehr, keine Aufträge, nichts. Heimlich hatte sie darüber nachgedacht, Joachim Groths Vorschlag anzunehmen und nach Deutschland zu gehen. Aber, großer Gott, was sollte sie dort? Das Land war ihr fremd, die Sprache kannte sie nicht. Wie sollte sie dort Geschäfte führen? Nein, dann lieber hierbleiben und immer wieder aufs Neue versuchen, etwas zu finden, mit dem sich Geld verdienen ließ. Ohne es gewollt zu haben, fand sich Mafalda vor der Rumfabrik wieder. Das Gebäude lag still, die Türen und Fenster waren fest geschlossen, die Läden vorgeklappt. Mit ihrem großen Schlüssel öffnete sie die Tür und betrat die Fabrik. Durch einen Holzladen drang ein wenig Sonnenlicht, und Mafalda sah, wie im Lichtstrahl der Staub tanzte. Sehr viel Staub. Ansonsten war es still. Beinahe totenstill, wären da nicht die Mäuse gewesen, die wispernd durch die Halle huschten. In einer Ecke standen gefüllte Zuckersäcke, aus denen nun dünne Rinnsale des kubanischen Goldes rieselten. Die Kupferkessel glänzten nicht, dafür hatte sich eine Staubschicht auf ihnen gebildet. Mafalda wollte das nicht sehen. Dieses Elend, das ihr Leben so verändert hatte. Sie wandte sich um und betrat das Kontor. Auch auf dem Schreibtisch hatte sich Staub gebildet. Mafalda setzte sich auf den Stuhl, stützte die Ellbogen auf den Tisch und brauchte ihre ganze Kraft, um nicht in Tränen auszubrechen. Dann aber weinte sie doch. Ein Schluchzen schüttelte ihren Körper, so heftig, dass ihre Schultern bebten wie im Schüttelfrost. Lange weinte Mafalda, so lange, bis sie keine Tränen mehr hatte und ganz erschöpft war. Doch so müde und verzweifelt sie sich auch fühlte, sie war eine Kämpferin. Ihr Blick fiel über die dicken Geschäftsbücher, über die Kladden, in denen in doppelter Buchführung alle Ein- und Ausgaben verzeichnet waren. Und mit einem Schlag packte sie eine unglaubliche Wut. Sie wusste nicht genau, auf wen sie so wütend war. Auf Hermann? Auf Titine und Fela? Auf Mister Carpenter? Joachim Groth? Ganz egal. Sie schlug mit der Faust so heftig auf den Tisch, dass das Tintenfass umkippte, aber der Inhalt ergoss sich nicht über die Papiere, die Tinte war längst schon eingetrocknet. Die Wut rann wie ein loderndes Feuer durch ihre Adern, ließ ihren Atem schneller gehen, das Herz rascher schlagen. Plötzlich hielt sie nichts mehr hier drinnen. Ich hole mir meine Welt zurück, dachte sie. Mafalda wusste nicht, ob sie diese Worte gedacht, geflüstert oder geschrien hatte, aber sie wusste, dass es genau das war, was sie wollte, wenn sie auch nicht wusste, was sie als Nächstes tun würde. Wie ein Wirbelwind drehte sie sich einmal um sich selbst und stürmte aus der Fabrik. Sie hetzte die Straßen entlang, noch immer nicht wissend, wohin. Aber Mafalda war eine gläubige Frau. Tief in ihrem Herzen war sie davon überzeugt, dass ein Gott, dass die vielen Götter der Kubaner, über sie wachten.
    Ohne sich dessen bewusst zu sein, fand sie sich plötzlich in der Bar des größten Hotels wieder. Es ziemte sich natürlich nicht für eine Frau ihres Standes, allein in eine Bar zu gehen, doch das war ihr ganz egal. Sie stellte sich an die Theke, schnippte ungeduldig mit den Fingern, und als der schwarze Barkeeper auf sie aufmerksam wurde, da fragte sie: »Wie viele Sorten Rum haben Sie im Angebot?«
    Der Barkeeper drehte sich um und betrachtete die Wand hinter sich, die auf endlosen Regalen bis hoch zur Decke mit Flaschen gefüllt war. »Ich weiß es nicht genau, gnädige Frau. Zehn oder vielleicht zwölf? Warum möchten Sie das wissen?«
    »Weil ich alle ausprobieren werde.«
    »Jetzt?« Der Barkeeper betrachtete sie erstaunt.
    »Ja. Jetzt und hier.«
    Der schwarze Mann sagte kein Wort, bestaunte Mafalda noch immer.
    »Na los, machen Sie schon. Ich habe nicht ewig Zeit«, bestimmte sie und wedelte mit der Hand.
    »Ganz, wie Sie wünschen, Doña«, erwiderte der Mann, der sich nur langsam von seiner Verblüffung erholte. »Womit wollen Sie beginnen?«
    »Geben Sie mir bitte zuerst die Rumsorten von der Familie Bacardí. Ach ja, und dann hätte ich gern noch ein Blatt Papier und einen Stift.«
    Der Mann schluckte.

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