Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
ich weiß nur, dass er euch vernichten will.«
»Und das weißt du schon ziemlich lange, nicht wahr?«
»Ja. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich darüber informiert war.« Er rutschte bis ganz nach vorn auf die Stuhlkante. »Ich konnte euch nicht warnen, konnte euch nicht helfen. Woolf hat auch mich erpresst. Er hatte mich in der Hand, hat gedroht, mich ebenso zu ruinieren, wie er es mit euch getan hat.«
Hermanns Gesicht verschloss sich. »Und warum sitzt du nun hier? Willst du dich an meinem Unglück weiden?« Seine Stimme klang rauh. Er hatte so lange nicht wirklich geredet, dass ihn heute die wenigen Sätze schon anstrengten. Er griff sich an die Kehle und räusperte sich.
»Ich bin hier, weil ich noch immer weiß, was gut und richtig ist. Ich bin hier, weil du das Leben meiner Kinder gerettet hast und ich deshalb auf ewig in deiner Schuld stehe.«
»Und was willst du?«
»Wie ich schon sagte, habe ich heute eine Sendung aus dem Hotel Imperial bekommen.« Er kramte in seiner Rocktasche und förderte einige engbeschriebene Zettel zutage. »Mir scheint, Mafalda war in diesem Hotel an der Bar, um die auf der Insel erhältlichen Rumsorten zu testen. Anbei sind auch einige Vorschläge, wie man Rum veredeln kann oder wie man aus ihm Cocktails mischt.« Groth wedelte mit den Zetteln ein wenig herum. »Diese Notizen sind Gold wert.«
»Sind sie das wirklich, wenn du sie von diesem Amerikaner bekommen hast? Und überhaupt: Wer ist er? Was hat er gegen uns? Und vor allem, was hat er mit meiner Frau gemacht? Und wenn diese Rezepte, wie du sagst, Gold wert sind, warum hat Rick Woolf sie dann aus der Hand gegeben?«
»Diese Fragen kann ich dir nicht beantworten, Hermann. Ich weiß nicht, was Rick Woolf gegen euch hat. Er kommt aus New York, und ich habe keine Ahnung, woher er euch kennen kann. Und ich weiß auch nicht, was er mit den Rezepten vorhat. Wahrscheinlich hat er keine Verwendung dafür, will dir und mir aber zeigen, was wir hätten erreichen können, wenn Rick Woolf nicht unser Feind, sondern unser Freund gewesen wäre. Aber das ist jetzt alles nicht so wichtig. Ich denke, wir sollten uns lieber Gedanken darüber machen, wie wir weiter verfahren wollen. Ihr müsst eure Manufaktur wieder eröffnen. Ich habe einen Plan, den ich gern mit euch beiden diskutieren möchte.« Er lehnte sich zurück und blickte Hermann fragend an, aber Hermann erhob sich.
»Es tut mir sehr leid, Joachim. Heute kann und will ich nicht mit dir reden. Du hast mir gerade erzählt, dass du mich betrogen hast. Gleichzeitig machst du mir ein Angebot. Was soll ich davon halten?«
Groth nickte. »Ich verstehe, dass du wütend, aufgeregt und ein wenig durcheinander bist. Wir können dieses Gespräch auch später noch fortsetzen. Das heißt natürlich nur, wenn du möchtest und wenn du beschließt, zu versuchen, mir noch einmal zu vertrauen.«
»Geh jetzt, Joachim. Ich muss mich um Mafalda kümmern. Sie ist das Wichtigste in meinem Leben. Erst lange danach kommt der Rum, kommen die Manufaktur und die Geschäfte. Ich melde mich bei dir.«
Groth seufzte und erhob sich. »Ich verstehe dich, Hermann. Ich verstehe dich wirklich. Aber ich bin aus freien Stücken zu dir gekommen, habe dir selbst erzählt, was ich getan beziehungsweise unterlassen habe. Ich bin gekommen, um dir zu zeigen, dass du mir vertrauen kannst.«
»Ja, ja, ja.« Hermann wedelte ungeduldig mit der Hand. »Ob das reicht, weiß ich nicht, aber jetzt habe ich wirklich keine Zeit mehr.«
Er griff nach einer kleinen Tischglocke und läutete. Beinahe im selben Augenblick betraten Dolores und Rafaela das Zimmer.
Hermann deutete auf Dolores. »Bitte, sei so freundlich und geleite Don Groth hinaus.« Und zu Rafaela gewandt: »Ist mein Hut ausgebürstet?«
Das Mädchen nickte und reichte ihm seine Kopfbedeckung.
»Gut, dann lass uns aufbrechen.« Sein Blick blieb an seinem Schreibtisch hängen. Am Rande der Tischplatte stand ein Kalender. »Welcher Tag ist heute?«, fragte er.
Groth blieb stehen. »Wieso? Es ist der 17. Dezember.«
Hermann lächelte. »Dann weiß ich auch, wohin wir jetzt gehen werden.«
Zweiundzwanzigstes Kapitel
V erloren stand Mafalda in der Schlange. Allein, verlassen und verloren. Die Leute um sie herum sprachen, schwatzten, lachten. Ein paar junge Mädchen sangen, ein junger Mann spielte dazu auf der Gitarre. Es herrschte beinahe Volksfeststimmung, doch Mafalda erreichte sie nicht. Sie blickte starr nach unten auf ihre Fußspitzen und betete,
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