Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
einfach nicht.«
Er packte sie bei den Schultern, rüttelte sie ein wenig, zog sie hoch, doch sie wog so schwer in seinen Armen wie ein Felsbrocken. »Ich habe nicht gelogen, Titine.« Dieses Mal klang seine Stimme rauh und leise. »Ich kann dich jetzt nicht brauchen, dich nicht und erst recht kein Kind. Geh fort. Vergiss mich. Ich bin deiner nicht wert.«
Sofort schrak Titine hoch, griff nach seinem Gesicht, das sie so sehr liebte und das ihr in dieser Nacht so fremd war wie ein unentdeckter ferner Stern. »Du lügst. Du liebst mich. Ich kann es in deinen Augen sehen. Ich kann es spüren, wenn du mich anfasst.«
Er machte sich los, als hätten ihre Finger Brandmale auf seinem Gesicht hinterlassen. Er stand auf, brachte Abstand zwischen sich und das Mädchen. »Lass mich«, wiederholte er. »Lass mich in Ruhe. Es ist gegen die Natur, dass ein schwarzer Mann und eine weiße Frau zusammen sind. Ich habe mich getäuscht. Was ich für Liebe hielt, war nur Begehren. Und dieses Begehren ist jetzt verloschen. Es tut mir leid, Titine.«
Er krümmte sich bei diesen Worten, als hätte er Schmerzen, doch kaum waren sie ausgesprochen, kaum lag Titine vernichtet vor ihm auf dem Boden, drehte er sich um und wollte wegrennen. Da drang ihr Flüstern an sein Ohr. »Und das Kind? Willst du es nicht? Dein eigenes Kind? Dein Fleisch und Blut?«
Er blieb stehen und griff sich an die Brust, die so sehr schmerzte, als hätte ihm jemand einen Pflock durch das Herz getrieben. Die Götter allein wussten, wie sehr er sich ein Kind wünschte. Aber nicht jetzt. Ein Kind. Meine Güte, wie sollte es aufwachsen? Sollte es in ein Land geboren werden, dessen Boden vom Blut seiner Brüder und Schwestern getränkt war? Nein. Das konnte und wollte er seinem Kind nicht antun. Sein Kind sollte im Licht aufwachsen, sollte von Liebe umgeben sein, von Schönheit und Sanftmut. Aber das war im Augenblick nicht möglich. Er drehte sich nicht um, doch seine Worte hallten dunkel und grausam durch die Nacht: »Mach es weg, Titine. Es ist nicht die Zeit für Kinder und für die Liebe.« Dann rannte er los, hetzte davon, als wäre er von allen Teufeln der Hölle, von allen bösen Orishas verfolgt.
Obwohl Titine keinen Laut von sich gab, hielt er sich die Ohren zu, wischte über die Stellen, an denen sie ihn berührt hatte. Doch ihr Duft schwebte um ihn herum, stieg in seine Nase und setzte sich dort für alle Ewigkeit fest.
Titine lag wie gefällt. Spitze Steine drückten sich in ihre Knie, doch sie bemerkte es nicht. Der Sand beschmutzte ihr Kleid, drang auf ihre Haut, in ihr Haar, doch es war ihr gleichgültig. Ein kühler Wind vom Meer strich über ihre Haut, machte sie frösteln, doch es war ihr egal. Sie lag auf dem Boden, wollte nie wieder aufstehen, sondern einfach nur liegen bleiben und sterben. Was war ihr denn das Leben noch, wenn es Fela darin nicht mehr gab? Sollte sie ein Kind haben, dessen Vater es nicht wollte? Sie konnte nicht. Sie konnte nicht für ein Kind sorgen, während ihr Herz zerbrochen war. Sie schaffte es ja nicht einmal mehr, sich aufzuraffen und ins Haus zu gehen. Es war ihr gleichgültig, was mit ihr wurde. Sie summte wie ein leidendes Tier, aber sie hörte sich selbst nicht. Ihr Wimmern stieg leise und hoch in den Himmel auf, doch sie glaubte, es wäre der Wind. Sie wollte sich umdrehen, ihre Hände auf den Bauch legen, um das Kind vor den Worten seines Vaters zu schützen, aber sie fand die Kraft nicht. Sie war leer wie ein ausgetrunkener Krug. Zu nichts mehr von Nutzen. Zu nichts mehr fähig. Sie war nicht mehr, sie atmete nur noch.
Titine wusste nicht, wie lange sie dort lag. Plötzlich hörte sie Schritte. Da waren Mafaldas Stimme, Hermanns Hände, die sie stützten. Sie wurde weggebracht. Wohin? Sie wusste es nicht; es war ihr egal. Dann kam der Doktor. Er beugte sich über sie und lächelte. Sie wollte ebenfalls lächeln, doch sie hatte vergessen, wie das ging. Also verzog sie nur die Lippen und bleckte die Zähne. Sie sah, wie der Doktor erschrocken von ihr wich, doch sie scherte sich nicht darum. Er schnippte mit den Fingern vor ihren Augen, leuchtete mit einem kleinen Licht hinein, er zog an ihrem Arm, hob ihr Bein in die Höhe, und sie ließ es fallen wie irgendeinen Gegenstand, der ihr zu schwer war.
Sie hörte Mafalda weinen und sah Hermann die Hände ringen, doch sie begriff nicht, was das alles mit ihr zu tun hatte. Einmal nur konnte sie den Mund öffnen. Ein Wort kam heraus. Rauh und zittrig, als wäre es das
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