Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
um und ging. Nur mit einer Schachtel Zigarren und einer Flasche Rum ausgestattet, verließ er sein Haus und begab sich zu seiner früheren Wohnstatt, dem Verwalterhaus. Dort setzte er sich auf die Veranda, achtete darauf, gut von einem der Pfeiler verborgen zu sein, dann rauchte und trank er die ganze restliche Nacht, während im Herrenhaus die Scheiben klirrten, Möbel aus den Fenstern geworfen, Bettdecken aufgeschlitzt wurden. Irgendwann machte ihn der Rum so müde, dass er einschlief, während rund um ihn herum grenzenlose Raserei tobte und es nicht abzusehen war, wann das Zerstören und Zertrümmern ein Ende haben würde.
Er schlief viele Stunden lang, ungerührt von den Dingen, die rings um ihn geschahen. Er war still und friedlich, sein Gewissen war rein und leicht wie Daunenfedern. Er hatte das Richtige getan, und jetzt blieb ihm nur das Abwarten. Er träumte nicht, sondern atmete gleichmäßig und tief, und sein Gesicht zeigte einen entspannten Ausdruck.
Als er erwachte, war es später Vormittag. In der Luft hing der Geruch nach Rauch und Zerstörung. Doch alles war still. Niemand zerschlug mehr Möbel, Fenster splitterten nicht mehr, kein Rufen, irres Lachen oder unbändiges Fluchen war zu hören. Der Ingenio lag so still, wie Hermann es noch nie erlebt hatte. Er stand auf, reckte und streckte sich, dann zog er den Rock gerade und begab sich zum Herrenhaus.
Lächelnd besah er sich die Verwüstungen. In der Küche waren die Teller aus den Schränken gerissen und auf den Boden geworfen worden. Die Tür zur Speisekammer hing schief in den Angeln. Darin waren Töpfe und Körbe, Fässer und Säcke umgestoßen. Auf dem Boden mischten sich schwarze Bohnen mit Honig und zerbrochenen Eiern. Ein Geruch nach Verderbnis lag über allem. Hermann zuckte nur mit den Achseln und ging in sein Arbeitszimmer. Alle Schubladen seines Schreibtisches waren aufgerissen. Papiere lagen umher, sein Schreibgerät und das Tintenfass waren zerbrochen, die Tinte hatte einen hässlichen See auf dem Kirschholzschreibtisch hinterlassen. Das Sofa war aufgeschlitzt worden, die Polsterwolle quoll hervor. Neben dem Sofa hatte ein Globus gestanden, der als Hausbar diente. Seine obere Hälfte fehlte nun, die Flaschen lagen zerbrochen am Boden. Auch sein Humidor war zertreten, die guten Zigarren fehlten. Im übrigen Haus sah es ähnlich aus. Hermann schritt lächelnd über zerbrochene Betten, zerfetzte Kleider, verschandelte Möbel, verschmutzte Teppiche. Die gute Uhr aus Meißener Porzellan lag zerschellt auf dem Boden; Hermann stieß mit der Fußspitze die Teile zusammen. Noch immer heiter, ließ er sich im Salon auf dem einzigen noch erhaltenen Polsterstuhl nieder und betrachtete staunend und gutgelaunt sein Heim. Jetzt, da alles kaputt, zerstört und geschändet war, fühlte er sich wohl hier. Er lächelte, summte ein Lied dabei, ein Lied aus seiner Kindheit. »Kommt ein Vogel geflogen, setzt sich nieder auf den Fuß, hält ’nen Zettel im Schnabel, von der Mutter einen Gruß.«
Er bemerkte nicht einmal, dass Dolores und Imelda sich näherten. Bleich und zitternd lehnten sie an der Salonwand, hielten sich bei den Händen und wagten nicht, den Blick zu heben.
»Seht euch das an!«, rief Hermann fröhlich. »Seht nur, schaut nur. Habt ihr so etwas je gesehen?«
Die beiden schwarzen Mädchen schüttelten den Kopf.
»Was ist mit euch los? Warum schaut ihr so sauertöpfisch? Was wollt ihr? Ihr seid frei. Geht, wenn ihr wollt.«
Dolores trat einen halben Schritt vor, ohne die Hand Imeldas loszulassen. »Wohin sollen wir denn gehen, Don Hermann? Wir kennen nichts und niemanden im ganzen Land.«
Für einen Augenblick überkam Hermann der Grimm. Nicht über die Zerstörung hier, sondern darüber, dass seine Frau und seine Schwester nicht hier bei ihm waren, sein plötzliches, unverhofftes und für viele unverständliches Glück nicht mit ihm teilen konnten. Er wischte das Lächeln aus seinem Gesicht. »Ihr wolltet die Freiheit, nun habt ihr sie«, brummte er. »Nutzt sie gefälligst, sonst habt ihr sie nicht verdient.«
Das jüngere Mädchen, Imelda, begann zu weinen. Sie verzog das Gesicht, der Mund wurde grotesk breit, die Augen rollten wie Murmeln in ihrem Kopf, das Haar sträubte sich, die Nase wurde in Falten gelegt, dann plärrte sie los wie ein Kleinkind. Sie riss den Mund auf und stieß all ihre Angst hinaus, warf sie Hermann vor die Füße. Eine Weile hörte er sich die Klagen des Mädchens an. Dann befahl er: »Hör auf zu flennen.
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