Sterne der Karibik: Roman (German Edition)
Entscheidung in Bezug auf den Amerikaner getroffen. Aber bei Titine muss ich mir keine Vorwürfe machen lassen. Ich habe alles für sie getan.«
»Nur eines scheinst du vergessen zu haben, Hermann«, antwortete Dr. Winkler leise und mit einem traurigen Anklang in der Stimme.
»Was denn?«
»Dass Titine ein eigenständiger Mensch ist. Sie ist es, die dir nicht verzeihen wird, dass du sie von dem Mann getrennt hast, den sie liebt. Hol sie zurück. Noch kannst du es. Noch kann alles gut werden. Jeder macht Fehler. Aber du kannst den deinen korrigieren. Hol sie zurück. So schnell du nur kannst.«
»Niemals!« Hermann sprang auf, stützte beide Hände auf seinen Schreibtisch und funkelte seinen besten und einzigen Freund hasserfüllt an. »Ich habe geschworen, meine Schwester glücklich zu machen. Und diesen Schwur, den ich beim Tode meiner Eltern geleistet habe, werde ich erfüllen. Und wenn es mich alles kostet, was ich habe. Ja, selbst, wenn es mich mein Leben kostet. Verstehst du, Andreas?«
Der Arzt nickte, doch dann sagte er leise und noch immer traurig: »Man kann Schlimmeres verlieren als das Leben, Hermann. Denk darüber nach.«
Achtes Kapitel
H ermann hatte keine Angst. Er ging am Abend zu Bett mit der Gewissheit, das Richtige getan zu haben. Mehr noch: Er war stolz auf sich.
War er das wirklich? Er lag auf dem Rücken, die Arme unter dem Kopf verschränkt und starrte auf den Streifen Mondlicht, der durch den Fensterladen in sein Schlafzimmer drang. Ihm war ein wenig übel. Nicht richtig. Nur so, dass er sich in seiner Haut unbehaglich fühlte. Er hatte doch das Beste für Titine getan, oder nicht? Warum hatte sein Freund ihn angesehen, als würde er sich vor ihm ekeln?
Einen Augenblick dachte Hermann an seine Eltern. Wie hätten sie entschieden? Er sah seine Mutter vor sich, die wunderschöne Frau mit dem leisen Duft nach Veilchenpastillen. Sie sah ihn verletzt und verlegen an, und Hermann, der viel zu klug war, um nicht zu wissen, was er wirklich getan hatte, wand sich vor Verlegenheit und Pein. Er lauschte nach draußen. Zu still kam Hermann die Nacht vor. Warum sang kein später Vogel? Wo waren die wilden Hunde? Stritten sich heute keine Katzen? Kein Klappern schneller, zu später Schritte von draußen auf dem Pflaster, kein trunkenes Lied, kein heimlicher Karren, noch nicht einmal die unheilvollen Trommelschläge der Schwarzen. Nur Stille. Nichts als Stille.
Hermann hätte beinahe aufgeatmet, als er endlich den Feuerschein sah, das Prasseln und Knistern der Flammen hörte, den Rauch riechen konnte. Er musste nicht aufstehen, um zu wissen, dass das Siedehaus brannte. Fela war nicht dumm. Er würde wissen, dass man nur im Siedehaus Rum brennen konnte. Rum für die Amerikaner. Und deshalb musste das Siedehaus verschwinden.
Ich sollte aufstehen, dachte Hermann. Ich sollte mich anziehen und nachschauen, ob meine Pistole tatsächlich geladen ist. Aber er konnte nicht. Blieb einfach liegen, als ginge ihn der Brand vor seiner Tür nichts an. Er wartete, dass unten die Tür eingeschlagen wurde, dass sie ihn holen kamen, ihn vielleicht sogar töteten. Und obwohl ihm die Angst die Kehle verengte und er um jeden Atemzug ringen musste, schaffte er es einfach nicht, aufzustehen. Er wartete, wartete eigentlich darauf, dass alles vorüberging, dass man ihn hier liegen ließ, dass er einschlief, endlich einschlief und morgen beim Aufwachen die Welt so vorfand, wie er sie gewohnt war. Der Rauch drang durch das undichte Fenster und ließ Hermann husten. Schon hörte er Schritte auf dem Kies knirschen, leise Stimmen, die einander Befehle gaben. Und doch schaffte er es einfach nicht, aufzustehen.
Als unten die Haustür splitterte, richtete er sich halb auf und blickte auf die Uhr, die auf dem Nachtkästchen stand. Es war drei Uhr. Noch drei Stunden, bis die Sonne aufging, noch drei lange, einsame, schreckliche Stunden, bis der Spuk vorbei war, bis er aufstehen konnte und das Siedehaus vom Fenster aus im Licht der Sonne strahlen sah.
Er seufzte, schwang probehalber einen Fuß aus dem Bett, zog ihn sogleich zurück und barg ihn unter der Bettdecke. Nein, er konnte nicht aufstehen. Es fehlte ihm an Kraft. Vielleicht wurde er krank? Hermann befühlte seine Stirn, die kühl und glatt war wie an einem sorglosen Sommermorgen. Nein, Fieber hatte er nicht. Er fühlte sich nur so unendlich matt, so müde, so zu Tode erschöpft, dass er sich einfach nicht aufraffen und in Sicherheit bringen konnte.
Bang und zugleich ruhig
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